Mann ohne Herz
Sommer in Stockholm. Die Nächte hell, die Temperaturen ungewöhnlich hoch. Für Siri Bergman ist es der erste Tag in ihrem neuen Job. Nachdem ihre Praxis schließen musste, arbeitet die Psychotherapeutin nun bei der Polizei – als Profilerin soll sie psychologische Täterprofile erstellen. Gleich ihr erster Fall ist von großer Brisanz: Ein Mörder hat es auf attraktive, gut situierte Männer abgesehen – homosexuelle Männer. Er tötet sie und schneidet ihnen das Herz heraus. Ist der Mörder ein verrückter Schwulenhasser? Oder deutet die Grausamkeit der Tat auf einen ganz anderen Zusammenhang hin?
Und weiter geht es mit der Siri Bergmann Reihe.
Dieses ist nun der 4te Band der Reihe und es ist genau wie die anderen Einfach Spannend geschrieben und ich muss sagen Siri ist einem einfach nur so sympatisch das man sie einfach lesen und lieben muss.
Aber heute geht es ja nicht um die Siri sondern um das Buch und deren Inhalt.
Siri hat ihren ersten Tag als Profilerin bei der Polizei nun angetreten nach dem die Praxis geschlossen werden musste.
Sie bekommt es sofort mit einem schrecklichen Mordfall zu tun.
Miguel findet nach dem Heimkommen seinen Lebensgefährten Jussi ermordet in der gemeinsamen Wohnung,aber als ob das nicht schon schlimm genug ist Jussi ist Brutal hingerichtet worden und sein Herz wurde ihm aus der Brust geschnitten und auf eine antike Silberschale auf den Schreibtisch gelegt.
Wenig später wird ein Kind ermordet das auf dem Arm vom Vater war,durch die Ballistische Untersuchung der Waffe stellte sich raus das es die gleiche Waffe war wie bei Jussi.
Auch sollte gar nicht das Kind getroffen werden sondern der Vater.
Aber was haben Jussi und der Familienvater gemeinsam?
Durch die Ermittlungen taucht dann ein Name auf mit dem die beiden Opfer Verbindung hatten.Es geht um Jens Sundberg.
Jens Sundberg ist seit Jahren schon psychisch Krank und zudem auch noch seit Tagen verschwunden.
Durch die Informationen aus der Klinik über den Zustand von Jens Sundberg der an Schizophrenie leidet,zweifeln die Ermittler ob er zu so einer tat wirklich fähig ist.
Nachdem es aber einen dritten Mord gibt scheint die Sache dann klar zu sein den es handelt sich um einen weitern Ex Freund von Jens dem die Genitalien abgeschnitten wurden.
Was hat Jens mit den Morden zu tun? Kann er trotz seiner Medikament so eine Tat durchführen? Oder ist er selber das nächste Opfer?
Auch wird wieder ein großer Teil von Siri preisgegeben was sich zwar durch das ganze Buch zieht aber nicht von den Morden ablenkt.
Das Ende des Buches ist nicht wirklich vorhersehbar und mal wieder wie auch schon in den anderen Teilen sehr Spannend geschrieben mit vielen Überraschungen und Wendungen.
Auch hier muss ich sagen bin ich wieder vollkommen im Buch versunken es ist einfach eine tolle Reihe.
Leseprobe
Miguel
Miguel Alemany lässt sich auf dem kühlen Ledersitz zurücksinken und schließt die Augen. Er ist schweißnass und merkt,
dass sein T-Shirt an der Rücklehne klebt. Der Wagen riecht
nach Leder, Wunderbaum und Tabakrauch. Der dicke Taxifahrer mit den üppigen grauen Koteletten und der Nickelbrille raucht offenbar heimlich in seinem Wagen, denn an
mehreren Stellen teilen kleine Schilder mit, dass das Rauchen
hier verboten ist. Miguel sehnt sich ebenfalls nach einer Zigarette und einer Tasse Filterkaffee. Eine schlechte Angewohnheit, die er sich nach all den Jahren in Schweden zugelegt hat.
Der Kaffee in Spanien mag rein objektiv gesehen vielleicht
besser sein, aber Miguel hat sich an den seltsamen schwedischen Kaffee gewöhnt. Er sehnt sich danach, mit Jussi in der Küche zu sitzen, Dagens Nyheter zu lesen und Kaffee Marke
Gevalia zu trinken.
In diesen Momenten geht ihm auf, dass Schweden für ihn zum neuen Zuhause geworden ist. Barcelona ist Kindheit und Jugend, Eltern und Brüder, Schulkameraden und alte Kollegen. Aber sein Zuhause, das ist in der
Küche mit Jussi, wenn sie über alles und nichts reden und dabei in der Morgenzeitung blättern und aus diesen lächerlich dünnen Tässchen aus Knochenporzellan Kaffee trinken, weil Jussi eben unbedingt diese Tassen nehmen will.
Am Wagenfenster ziehen Birken und grüne Wiesen mit
einem klarblauen Himmel als Hintergrund vorüber.
Die E4 weist nur wenig Verkehr auf, und der Fahrer fährt sicher zwanzig Stundenkilometer zu schnell, aber Miguel ist das nur recht. Jetzt will er nur noch nach Hause, zu Jussi.
Er zieht wieder sein Mobiltelefon hervor und stellt fest,dass Jussi nicht auf die SMS geantwortet hat. Vielleicht schläft er noch. Es ist zwar Nachmittag, aber Jussi war angetrunken, als sie letzte Nacht miteinander telefoniert hatten. Miguel hatte geflüstert, um seinen Bruder und seine Schwägerin im Nebenzimmer nicht zu wecken. Jussi dagegen hatte mit lauter Stimme und in seinem finnlandschwedischen Singsang geredet und alles kommentiert, was ihm auf seinem Heimweg vom Fest bei Alexander und Carl eben auffiel: dass die Sonne schon aufging, obwohl es doch erst drei Uhr morgens war, dass die Vögel zwitscherten. Dass das Wasser bei Slussen glitzerte. Und Miguel hatte seine Sehnsucht geflüstert. Dass er Jussi umarmen wolle, ihn küssen, seine blonden Haare streicheln.
Sie lebten inzwischen seit drei Jahren zusammen. Drei glückliche Jahre. Drei Jahre und kaum ein einziger Streit,
keine wirklichen Meinungsverschiedenheiten. Miguel hätte es kaum für möglich gehalten, dass es so etwas wirklich gab.
Bisher hatte er nur stürmische Beziehungen mit heftigen Streitereien und dramatischen Szenen erlebt. Eifersucht. Lügen. Er hatte die Hoffnung auf ein normales Verhältnis schon fast aufgegeben. Irgendwo im tiefsten Herzen glaubte er, dass es vielleicht die Strafe für sein Schwulsein sei. Wenn er eine Frau geheiratet und Kinder bekommen hätte, wäre alles möglicherweise leichter gewesen. Nicht so spannend, vielleicht.
Keine Leidenschaft. Aber einfach. Ein Leben, das funktionierte. Aber dann war Jussi gekommen. Auf den ersten Blick eine extrovertierte Schlagertunte, die sich ab und zu im Fernsehen über Antiquitäten ausließ. Aber hinter diesem Medienbild steckte so viel mehr. Ein einsamer Mann, der nach dem Tod seiner Eltern Helsinki verlassen hatte, um sich in Schweden ein neues Leben aufzubauen. Ein Mann mit einer Leidenschaft für Kunst und Antiquitäten, aber auch für Philosophie und Psychologie. Klug, ruhig, gebildet. Attraktiv. Und er
wollte Miguel.
Ein Wunder. Keins von der aufsehenerregenden religiösen Sorte. Aber ein echtes Wunder eben doch. Mitten in der Wirklichkeit.
Miguel spürt, wie seine Wangen glühen und wie er hart wird, wenn er an Jussi denkt. An Jussis durchtrainierten Körper, die graublonden Haare und diese gottbegnadeten Hände. Er schaut abermals aus dem Fenster und stellt fest, dass sie fast am Ziel sind. Als das Taxi vor dem Haus hält, vergisst er fast zu bezahlen, und er muss mehrmals um Entschuldigung bitten, während der Fettsack seine Karte durch den Scanner
zieht und Miguel gleichzeitig skeptisch mustert, als frage er sich, ob er gerade betrogen wird.
Als er aus dem klimatisierten Taxi steigt, staunt er, wie heiß es ist. Eher wie in Spanien als wie in Schweden, denkt er. In der Nachmittagssonne sehen die grünen Bäume im Stig Claes sons Park staubig aus. Der Rasen streckt seine spärlichen gelben Halme gen Himmel und scheint um Regen zu flehen.
Miguel zieht seinen funkelnden Samsonite-Koffer hinter sich her und fährt mit dem Fahrstuhl in den dritten Stock. Er will zuerst klingeln, überlegt es sich dann aber anders. Wenn Jussi noch immer schläft, will er sich zu ihm legen. Kaffee und Zeitung können warten.
Das Erste, was ihm auffällt, ist der Gestank. So etwas hat er noch nie gerochen. Er überlegt, ob der Kühlschrank defekt ist oder ob Jussi Essen herumstehen lassen hat. Es riecht nach rohem Fleisch, nach Eisen und nach etwas anderem, das er nicht identifizieren kann, ihn aber an verdorbene Lebensmittel und Körperausdünstungen erinnert.
Die Wohnung ist still. Er hört nur das schwache Brummen eines Flugzeugs, das vermutlich auf dem Weg nach Bromma über das Haus fliegt,und das rhythmische Ticken der alten Küchenuhr. Er ruft,seine Stimme hallt von den Wänden wider. Keine Antwort.
Nur die Stille und dieser widerliche Geruch, der immer aufdringlicher wird. Miguel schaut sich in der Diele um. Jussis Schuhe stehen ordentlich aufgereiht im Regal, jedes Paar mit einem Schuhspanner versehen. Auf dem alten Sekretär liegt die Post auf einem ordentlichen Stapel, daneben die Dagens Nyheter. Er wirft einen Blick auf die Zeitung, stellt fest, dass es die vom selben Tag ist. Jussi müsste also zu Hause sein. Er ruft wieder. Diesmal lauter. Noch immer keine Antwort.
Nur die tickende Uhr misst die Sekunden, die spurlos in der Ewigkeit verschwinden. Miguel spürt, wie sich sein Magen zusammenzieht. Es fühlt sich an wie ein Krampf. Etwas stimmt hier nicht. Er weiß nicht, was, aber etwas stimmt hier nicht. Bilder von Jussi, ohnmächtig, tot vielleicht, erstickt an seinem eigenen Erbrochenen, jagen durch sein Bewusstsein, und er muss sich an die Wand lehnen, um nicht zusammenzubrechen.
Aus Jussis Arbeitszimmer kommt Licht. Miguel macht einige schnelle Schritte durch den Gang und läuft hinein. Jussi ist nicht dort, aber die Schreibtischlampe brennt. Eine klassische Bibliothekslampe mit grünem Glasschirm und Messingfuß. Auf dem Schreibtisch herrscht dieselbe Ordnung wie in der Diele – mit einer Ausnahme: Auf dem Schreibtisch steht eine ovale Silberschale. Sie füllen sie zu Weihnachten mit Nüssen, und es kommt vor, dass Jussi bunte Smarties hineinschüttet. Miguel staunt, wie arrangiert das alles aussieht, wie ein Stillleben, aufgestellt, um den Blick des Betrachters einzufangen und festzuhalten. Er begreift nicht, was er da sieht.
Einen Klumpen aus Fleisch und Häuten in einer schwarzen Flüssigkeit. Miguel steht ganz still. Betrachtet.
Denkt,dass es aussieht wie die Innereien eines Tiers. Ihm fällt ein, wie seine Mutter für die Hunde Schweineherzen gekocht hat, als er noch klein war. Genau so sieht es aus. Ihm wird schlecht
und schwindlig. Warum sollte irgendwer ein Schweineherz in ihre Silberschale legen? Miguel macht kehrt und geht zum Schlafzimmer. Der Geruch wird immer überwältigender,und das Ticken der Küchen uhr verwandelt sich in der Stille in hallende Hammerschläge. Er will nicht sehen, was sich im Schlafzimmer befindet, aber er muss doch nachschauen.
Das große Doppelbett ist ungemacht. Jussi liegt auf dem Rücken, die Decke bis zum Hals hochgezogen. Dort, wo sein linkes Auge sein müsste, gibt es nur eine rotschwarze Masse,und um den Kopf herum haben sich Blut und etwas, bei dem es sich um Gehirn und Knochensplitter handeln muss, wie ein klebriger Heiligenschein ausgebreitet. Die Haut sieht vor dem roten Hintergrund graubleich aus. Miguel möchte ihn berühren, obwohl er weiß, dass er das nicht tun darf. Langsam geht er zum Bett und streckt die Hand aus, zieht vorsichtig die Decke weg, einen Zentimeter nach dem anderen, bis er das freigelegt hat, was ein Brustkorb sein sollte, jetzt aber nur
noch ein klaffendes Loch ist.Dann erst schreit er.
Siri
Der Mann an der Rezeption vertieft sich in meinen Führerschein und betrachtet skeptisch das Bild einer fast zehn Jahre jüngeren Version meiner selbst. Dann nickt er und reicht mir das rosa Plastikteil zusammen mit einem Besucherausweis, den ich gut sichtbar an meiner Kleidung befestigen soll, zurück.
»Sie wollen also zur TP, der Täterprofilgruppe? Ich ruf mal
eben bei Vijay Kumar an, der kann Sie dann abholen.«
Ich nicke ebenfalls und kehre dem Glaskasten den Rücken zu. Vor den großen Türen brennt die Sonne, und obwohl es erst neun Uhr morgens ist, vermute ich, dass die Temperatur schon auf fünfundzwanzig Grad zugeht. Der Sommer in diesem Jahr ist großzügig, Ströme von Licht, Wärme und Pflanzengrün. Es ist zwar erst Anfang Juli, aber die Bucht vor unserem kleinen Haus ist bereits aufgewärmt, und Erik und ich üben fast jeden Abend am Strand Schwimmen, während Markus in den Wellen hin- und herkrault.
»Siri!«
Warme Arme schließen sich um mich, und ich lache, drehe mich um und lächele.
»Willkommen zu deinem ersten Tag hier im Haus. Ich besorg dir dann später eine feste Zugangskarte.« Vijay nickt vage zu meinem Besucherausweis hinüber. Er sieht großartig aus. Seine üppige grau melierte Mähne ist zu einer Art wilden Schmalztolle gekämmt, und seine Haut ist von einem hellen Zimtbraun. Er duftet ein wenig nach Tabak und Rasierwasser.
»Rauchst du wieder?« Ich hebe in übertriebenem Staunen
die Augenbrauen.
»Verdammt. Ich hätte nicht gedacht, dass du das merkst.«
Er lacht, lässt mich durch die Tür gehen und lotst mich weiter zu einer Treppe. »Bist du nervös? Erster Tag und überhaupt?«
Ich denke über seine Frage nach. Bin ich nervös? Ja und nein. Einerseits überlege ich, worauf ich mich da eingelassen habe. Ich habe mich noch nie mit dem Erstellen von Täterprofilen beschäftigt. Ich bin klinische Psychologin und arbeite seit mehr als zehn Jahren als Psychotherapeutin. Jetzt habe ich das Gefühl, einen großen Schritt ins Unbekannte zu machen. Bei der Polizei zu arbeiten, ist so weit entfernt von
meiner alten Wirklichkeit wie überhaupt nur möglich. Zugleich hat sich in meiner Wirklichkeit so viel verändert, so
vieles ist auf den Kopf gestellt worden, dass ich das Gefühl habe, dass mich nichts mehr erschüttern kann. Die Dinge in meinem Leben, die ich für konstant gehalten hatte, haben sich in Luft aufgelöst, und die Arbeit zu wechseln, kommt mir im Vergleich dazu fast belanglos vor. Auf eine paradoxe Weise
finde ich es fast beruhigend, mich in eine Situation zu begeben, in der ich überhaupt keine Kontrolle über das habe, was passieren kann. Hier rechne ich jedenfalls damit, überrascht und verblüfft zu werden.
Zugleich habe ich Angst. Angst vor dem, was ich hier sehen und hören werde. Ich werde zusammen mit einer Gruppe von Psychologen, Polizisten, Rechtsmedizinern und Kriminaltechnikern bei schweren Gewaltverbrechen Täterprofile erarbeiten. Und ich werde Dinge sehen, die ich vielleicht nicht sehen, mit denen ich nichts zu tun haben will. Ich weiß, dass Vijay ein Risiko eingegangen ist, als er mich als neue Mitarbeiterin für das Team ausgesucht hat. Ich bin ein unbeschriebenes Blatt, habe keine Forschungserfahrung und kenne mich
mit der Materie nicht sonderlich gut aus, aber Vijay hat mich und die Gruppe davon überzeugt, dass meine Qualifikationen ausreichen.
Er hat mit mir über Intuition und Menschenkenntnis gesprochen, über Kreativität und die Fähigkeit zu
unkonventionellen Gedankengängen.
Trotzdem weiß ich nicht so recht, ob er mir die Stelle wirklich wegen meiner Kompetenzen angeboten hat, oder ob es eine Art Rettungsaktion seinerseits ist. Eine Möglichkeit, ein waches Auge auf mich zu haben, dafür zu sorgen, dass ich nicht in einem Nebel aus Alkohol und Depression versinke.
Ich bringe es nicht über mich, ihm zu erklären, dass er sich um mich keine Sorgen zu machen braucht, dass in mir eine fundamentale Veränderung stattgefunden hat und dass ich
nicht mehr dieselbe Siri bin. Obwohl sich mein ganzes Leben verändert hat, bin ich in einem Punkt sicher: dass ich nie wieder dort enden werde. Ein kleiner Teil von mir scheint stumm geworden zu sein, ohne Resonanz. Dort gibt es keine Gefühle mehr, keine Trauer und keinen Schmerz. Nur Gleichgültigkeit.
»Doch, ich bin nervös.« Ich lächele kurz und nicke. Ich will nicht, dass Vijay auch nur ahnt, was in mir vorgeht.
»Gut, richtig so, finde ich.« Er grinst, und eine Menge weißer Zähne leuchtet in seinem Gesicht auf.
Ich ertappe mich bei der Überlegung, ob er sich die Zähne wohl bleichen lässt. Vijay ist eine seltsame Mischung aus Bohe mien und Modegeck. Er spielt gern den zerstreuten Professor, der sich nicht weiter um Äußerlichkeiten kümmert, aber wenn man genauer hinschaut, stellt man meistens fest, dass die abgenutzten Jeans von einer teuren Designermarke sind und dass er über die neuesten Modetrends genauestens informiert ist.
»Komm jetzt, die anderen warten schon.« Er zeigt auf eine angelehnte Tür, und wir betreten einen kleinen Besprechungsraum mit großen Fenstern, die das Sonnenlicht hereinlassen, und mit typischen Büromöbeln aus hellem Holz.
Carin Stolpe steht vor dem Tisch. Hinter ihr an der Wand hängt eine große weiße Tafel voller chaotischer Aufzeichnungen. Blonde Haare rahmen Carins sonnengebräuntes Gesicht ein. Sie sieht auf und erwidert meinen Blick. Ihr Lächeln ist warm, und ich staune darüber, wie jung sie aussieht. Ich weiß, dass Carin um die fünfzig ist, aber sie wirkt mindestens zehn Jahre jünger. Ich frage mich, wie man so gelassen aussehen kann, wenn man dauernd mit Gewalt und Tragik zu tun hat.
»Willkommen bei der Täterprofilgruppe – oder der TP, wie alle hier im Haus sagen. Schön, dass du da bist. Jetzt kannst du endlich auch die anderen aus der Gruppe kennenlernen.«
Sie nickt zu den drei anderen hinüber, die am Tisch sitzen.
Ein älterer Mann erhebt sich und nimmt meine Hand.
»Hallo, Siri. Willkommen. Örjan Bruse, Polizist und Kriminaltechniker.«
Sein Händedruck ist fest, aber sein Blick landet irgendwo im leeren Raum, als ob er eigentlich nicht mich ansieht, sondern etwas, das sich hinter mir abspielt. Ich mustere ihn. Er ist sicher an die sechzig, groß und schlank. Er trägt ein kariertes Hemd und Jeans, die tatsächlich aussehen, als seien sie gebügelt worden – sie haben vorn eine Bügelfalte. Ich frage mich, ob er vielleicht zu Hause eine übereifrige Frau hat, die sich um die Wäsche kümmert, oder ob er seine Hosen in die chemische Reinigung gibt. Er hat schüttere Haare, und seine
goldgerahmte Brille ist hoch auf die Nase geschoben. Ich begrüße ihn, lächele und wende mich dem Nächsten aus der Gruppe zu. Es ist ein Mann in meinem Alter, der so auffällig aussieht, dass ich glauben könnte, er hätte sich in der Tür geirrt, wenn Vijay mich nicht vorgewarnt hätte.
»Hallo. Jimmy Stålfors, Polizist hier in der Gruppe.«
Er trägt ein weißes T-Shirt. Muster von etwas, bei dem es sich um eine riesige Tätowierung handeln muss, lugen aus dem Halsausschnitt hervor und ziehen sich über die Arme wie die Ranken einer Schlingpflanze. Sein glatt rasierter Kopf glänzt im Sonnenlicht, das durch das Fenster strömt. Ich ertappe mich dabei, wie ich seinen Bizeps anstarre, der von einem Totenkopf geschmückt wird. Aus Augenhöhlen und Mund windet sich eine giftgrüne Schlange. Jimmy sieht meinen Blick und lächelt. Er sieht beinahe stolz aus.
Wie ein Kind, das durch einen Streich die Aufmerksamkeit auf sich lenken konnte. Ich nehme an, er ist es gewohnt, dass Menschen ihn anstarren, und genießt es. »Hallo, Mann!« Jimmy entdeckt Vijay, springt auf, und sie führen eine Art kompliziertes Begrüßungsritual durch, bei dem sich Fingerknöchel und Handflächen berühren. Die Art von Gruß, die ich eigentlich nur von halbwüchsigen Jungs in der U-Bahn kenne. Ich verkneife mir ein Lächeln. Vijay Kumar und Jimmy Stålfors, eine Allianz, die Lust auf mehr macht.
»Willkommen, Siri.« Ein älterer Mann, der eigentlich schon das Pensionsalter erreicht haben müsste, erhebt sich
mit einer Geschmeidigkeit, die meinen Neid erregt. Er hat eine schneeweiße Mähne und einen spitzen Bart. Etwas an ihm erinnert mich an eine Figur aus einer Tintin-Geschichte.
Er wirkt wie jemand aus einer anderen Welt, einer anderen Zeit. Er trägt, trotz der Hochsommerhitze, Hemd und ein elegantes Leinensakko. Seine langen, schmalen Finger enden in sorgfältig polierten Nägeln. Er hebt meine Hand, fasst sie mit seinen beiden, verbeugt sich ein wenig und stellt sich als Juan Martina, Rechtsmediziner, vor. Fast erwarte ich, dass er meinen Handrücken küsst.
»Ich glaube, wir machen am besten da weiter, wo wir eben
stehen geblieben sind.« Carin lächelt wieder.
Ich setze mich neben Vijay und ziehe Block und Stift hervor, um Notizen machen zu können. Ich komme mir ein bisschen vor wie am ersten Schultag, umgeben von neuen Mitschülern und Lehrern, und ich will unbedingt einen guten
Eindruck machen. Ich schaue zur Tafel hinüber. Dort steht in blauer Schrift ein Name: Jussi Ståhl. Ich weiß, wer Jussi Ståhl ist. Wer Zeitung liest oder Fernsehnachrichten sieht,kann den Mord an Jussi Ståhl einfach nicht übersehen haben.
Carin zeigt auf den Namen und tippt danach mit dem Stift auf die Tafel, wie um der Geste besonderen Nachdruck zu verleihen. »Jussi Ståhl, neunundvierzig. Antiquitätenhändler mit eigenem Laden auf Östermalm. Eine Art Promi, der gern Premieren und Empfänge besucht hat. Lebensgefährte von Miguel Alemany, spanischer Künstler, der seit drei Jahren in Schweden lebt.« Carin legt eine Pause ein, trinkt einen Schluck Kaffee aus einem Mumin-Becher und spricht dann weiter: »Am fünften Juni wurde Jussi Ståhl in seiner Wohnung am Beckbrännarbacken auf Södermalm tot aufgefunden. Der Leichnam wurde von Jussis Partner Miguel entdeckt, der gerade von einer Reise zurückgekehrt war. Ihm hat sich da wahrlich kein schöner Anblick geboten.«
Carin beugt sich vor und blättert zwischen den Papieren, die vor ihr auf dem Tisch liegen. Sie zieht ein Bild im A4-
Format hervor und befestigt es mit einem Magneten an der Tafel. Auf dem Bild ist ein Mann zu sehen, der in einem Bett liegt. Um seinen Kopf herum hat sich ein rotschwarzer Fleck über Kissen und Laken ausgebreitet, sein nackter Körper sieht unnatürlich weiß aus. Mit einer Ausnahme. Sein Brustkorb hat sich in einen riesigen rotschwarzen Krater verwandelt.
Ich kann mir nur mit Mühe klarmachen, was ich da sehe. Alles kommt mir unwirklich vor, fast arrangiert.
»Jussi Ståhl wurde mit einer Neunmillimeter-Waffe in den Kopf geschossen, und zwar aus nächster Nähe«, sagt Carin.
»Danach hat der Täter das Herz entfernt. Das wurde später im Arbeitszimmer in seiner Wohnung in einer antiken Silberschale auf Jussi Ståhls Schreibtisch gefunden.«
Ich spüre, wie sich mein Magen zusammenzieht. Dieses Detail haben die Zeitungen nicht erwähnt.
»Juan, kannst du vielleicht etwas mehr darüber erzählen, das fällt doch in dein Ressort«, sagt Carin und weist mit der Hand auf den Rechtsmediziner mit dem spitzen Bart.
Juan Martina nickt, erhebt sich und tritt vor die Tafel. Sehr sorgfältig bringt er unter dem ersten noch weitere Bilder an. Eines ist eine Großaufnahme von etwas, bei dem es sich um ein Einschussloch handeln muss, dazu zeigt es einen skizzierten Körper.
Juan zeigt auf das Einschussloch. »Hier seht ihr das Einschussloch, mitten im linken Auge. So schlimm sieht es gar nicht aus, aber der Hinterkopf bietet einen grauenhaften Anblick, das könnt ihr mir glauben. Was ihr hier seht, ist eine Schussverletzung, die von einer Neunmillimeter-Waffe verursacht worden ist. Wir haben es vermutlich mit einer Pistole zu tun. Um das Einschussloch im Auge wurden eine Menge
Pulverfragmente gefunden, das Opfer wurde also aller Wahrscheinlichkeit nach aus allernächster Nähe erschossen. Ich vermute, dass es sich um einen Nahschuss, aber keinen aufgesetzten Schuss handelt. Vermutlich wurde er aus einem halben Meter Entfernung abgegeben. Ich glaube, dass Ståhl
im Schlaf erschossen worden ist. Der Tod ist dann sofort eingetreten. Es sieht wie eine typische Hinrichtung aus. Was weniger typisch ist, sind die anderen Verletzungen, die ihr hier am Körper seht.« Er zeigt mit seinem goldenen Füllfederhalter auf das Rote, das einmal Jussi Ståhls Brustkorb war, und
fügt hinzu: »Wie ihr seht, ist aus der Wunde im Brustkorb nicht sonderlich viel Blut ausgetreten. Damit wissen wir, dass Jussi Ståhl bereits tot gewesen ist, als der Täter sein Herz aus dem Körper entfernte. Er hat den Brustkorb durch den Brustkasten geöffnet. Das heißt, er hat ihn in Längsrichtung aufgeschnitten. Es sieht aus, als ob er zuerst ein Messer und dann irgendeine Art Schere verwendet hätte, vermutlich eine
Baumschere. Danach hat er den Herzbeutel freigelegt und abgeschnitten. Zum Schluss wurden sämtliche Blutgefäße,die zum Herzen führen, gekappt: Aorta, Lungenstamm, Lungenvenen und obere und untere Hohlvenen.
Bei der ganzen Sache wurde überaus methodisch vorgegangen. Ich vermute,dass der Täter ein Laie ist, aber ein relativ gut informierter Laie, denn er wusste anscheinend, war er da tat. Ihm ging es alleine um das Herz, die restlichen Organe sind intakt.
Ich würde außerdem sagen, dass er offenbar gut vorbereitet gewesen ist. Man öffnet einen Brustkorb nicht mit einer Nagel schere, um das mal so zu sagen. Er muss das hier genau geplant, die nötige Ausrüstung besorgt und sich die Vorgehensweise angelesen haben. Und als er dann so weit war, hat er das Herz in …« Juan bringt ein weiteres Bild an, auf dem ein blutiger Klumpen, ähnlich einem Stück roher Leber, in einer großen verzierten Silberschale mit Fuß zu sehen ist....................