Bevor du Stirbst
Eine kalte Winternacht in Stockholm. Eine junge Frau allein in einem menschenleeren Park. Plötzlich Schritte, die immer näher kommen. Als sie sich schon verloren glaubt, fällt ein Schuss, ihr Verfolger stürzt zu Boden und bleibt in einer Blutlache liegen. Fünf Jahre später findet die Psychotherapeutin Siri Bergman in alten Kisten ihres ersten Mannes Stefan eine merkwürdige Notiz, die auf genau diesen Mord hinweist. Gibt es etwa einen Zusammenhang zwischen der grauenhaften Tat und Stefans Selbstmord, der nur wenige Wochen danach Siris Leben erschütterte? Der Gedanke lässt sie nicht mehr los. Hat Siri ihren Mann jemals wirklich gekannt?
Über den Autor und weitere Mitwirkende
Camilla Grebe und Åsa Träff sind Schwestern, aufgewachsen in Älvsjö in der Nähe von Stockholm. Der Roman "Die Therapeutin" war ihr erstes Gemeinschaftsprojekt, fast zwangsläufig entstanden aus ihrer Liebe zur Kriminalliteratur. Camilla, geboren 1968, lebt in Stockholm mit ihrem Mann, zwei Kindern und einem Dalmatiner. Sie ist studierte Betriebswirtin, hat den Hörbuchverlag "StorySide" gegründet und betreibt ein Beratungsunternehmen. Åsa, geboren 1970, lebt in Gnesta mit ihrem Mann und zwei Kindern. Sie arbeitet als Psychologin mit dem Schwerpunkt Verhaltenstherapie und betreibt in Stockholm mit drei Kollegen eine Gemeinschaftspraxis, die sich auf Angststörungen und neuropsychologische Störungen spezialisiert hat.
Taschenbuch: 496 Seiten
Verlag: btb Verlag
Dies ist nun mein zweites Buch mit Siri Bergmann und ich muss sagen schon im ersten Buch fand ich sie einfach richtig Toll.
Gut ich bin nicht in der Reihenfolge von den Büchern aber das macht wirklich nichts so war es auch schon bei dem ersten Buch was ich gelesen habe es gibt immer wieder Rückblicke in die Vergangenheit und man versteht die kompletten Handlungen.
Ich habe mich beim ersten Buch vom Klappentext leiten lassen ohne zu wissen das es davor schon Bücher gab.
Aber wie erwähnt habe ich das Buch super verstanden.
Siri ist eine Frau mit Ecken und Kanten und auch Fehlern was sie eben so sympatisch macht.
Auch der Schreibstil von den beiden Autorinnen ist super.
In diesem Buch ist auch wieder alles dabei,es geht um Liebe,Verrat,Menschliche Ängste,Vertrauen und auch geht es dadrum das man nach Kriesen immer wieder aufstehen muss um weiter zu Leben.
Die Psychologin Siri, die jetzt mit Markus zusammenlebt und ein Kind hat, beschließt, die alten Kisten ihres verstorbenen Mannes Stefan durchzusehen und zu entsorgen.
Sie stößt auf ein Foto, einen Zeitungsartikel und rätselhafte Einträge im Kalender, die sie sich nicht erklären kann, und fängt an zu recherchieren. Wer war ihr Mann Stefan wirklich? Hatte sie ihn jemals als denjenigen gekannt, der er war?
Ihre Nachforschungen führen langsam, aber stetig zur Katastrophe.
War es nun Selbstmord oder doch Mord und was hat Stefan mit dem Mord an seinem Schulkollegen zu tun?
Aber auch über Siri erfährt man hier wieder etwas mehr,wie sie fühlt und wie sie denkt.
Auch aus dem Umfeld bekommt man einiges mit,das die Praxis nicht so gut läuft und das es ihrer Freundin Aina nicht gut geht.
Aber aufeinmal steht es selbst mit der Freundschaft zu Aina nicht mehr gut aber warum was ist da passiert und was kam da raus?
Es ist ein gelungenes Buch aus der Siri Bergmann Reihe und es ist mal wieder Spannend bis zum Schluss.
Auch fängt man an mal drüber nachzudenken wie oft wir zu jemanden sagen ich kenne dich aber nach dem Buch ist es dann doch so kennst du die Person wirklich?
Leseprobe
Sie war eine Seifenblase, die durch den Park schwebte, schwerelos, ein Blatt im Wind. Die Nacht hatte schwarze Kristalle
im Haar, und die Sterne stürzten ihr entgegen von allen Himmeln, die sich im Universum drängten, und von denen, die
weiter entfernt waren, dort, wo Zeit und Raum ein Ende nehmen und nur noch ein vibrierendes schwarzes Vakuum bleibt.
Der Boden um sie herum war von einer dicken Schicht aus
funkelndem weißem Schnee bedeckt. In einiger Entfernung
ragte die Kirche auf, wie er gesagt hatte. Spitze Türme zeichneten sich vor dem Himmel ab, als wären riesige Zähne aus
dem gefrorenen Boden gewachsen. Und hinter der Kirche
lagen der Karlaplan und die U-Bahn, die sie zu ihren Eltern
nach Farsta bringen würde.
Obwohl sie nicht mehr Anna war, ein ziemlich trauriges
und pickliges Mädchen aus dem Vorort, sondern ein schönes und schwereloses Wesen, das sich mit irdischen Problemen nicht zu befassen brauchte, drangen die Ereignisse des
Abends durch die feste Hülle der Seifenblase. Die Wohnung,
in der es kein Licht gegeben hatte. Robban und der schwarze
Typ ohne Namen, der auf dem einsamen Sofa mitten im
Raum ununterbrochen geraucht und gequasselt hatte. Die
Katze, die auf der Fensterbank gesessen hatte, beängstigend
mager, zusammengekrümmt, die Ohren zurückgelegt, bereit
zum Sprung, falls sich etwas Bedrohliches näherte. Und dann
natürlich Marko.
Marko, der so weiche Haut hatte, obwohl er älter war als
ihr Vater. Marko, der die schönsten Augen hatte, die sie je gesehen hatte. Augen, die sie immer wieder mit einer Mischung
aus Zärtlichkeit und Lust betrachteten. Er war nie mehr als
einen Meter von ihr entfernt. Seine Hand schien sie immer zu
berühren, ihre Schulter, ihren Arm oder ihren Oberschenkel.
Manchmal packte sie zu, massierte so fest, dass ihr die Tränen
in die Augen traten. Manchmal ruhte sie leicht wie ein Grashalm auf ihr.
Aber sie war immer da.
Sie fröstelte.
Sie hörte aus der Ferne ein Motorendröhnen, das immer
lauter wurde. Sie stellte fest, dass sie dieses Geräusch sogar
sehen konnte, dass es Farbe und Form besaß. Schwarz, pelzig, mit scharfen Zacken. Eine rotierende düstere Wolke, die
wuchs und schrumpfte und tausende scharfe Stahlklingen
enthielt.
Was hatten sie an diesem Abend eingeworfen?
Einen chemischen Cocktail, wie er das nannte. Irgendwas
wie Acid jedenfalls, das war ihr immerhin klar. Aber obwohl
sie noch immer high war, dachte sie klarer als je zuvor in ihrer Erinnerung. Sie verstand das Dasein, fühlte eine Zusammengehörigkeit mit jeder noch so kleinen Schneeflocke und
jedem Stein im Park, konnte hören, wie Bäume und Büsche
und Steine ihr zuflüsterten und sie riefen.
Die Straßenlaterne auf ihrer rechten Seite flackerte und erlosch mit ausgiebigem Zischen. Sie wusste, dass es kalt war,
spürte die Kälte aber nicht. Sah nur überrascht die bläuliche Gänsehaut auf ihren mageren Handgelenken an, die wie
Stöckchen aus der dünnen Kapuzenjacke hervorragten.
Vor ihr zog sich die gefrorene Straße dahin, an der ein teures Auto neben dem anderen stand. Auf der anderen
enseite hatte die Kirche plötzlich und unerklärlicherweise
gewaltige Proportionen angenommen, war zu einer himmelstrebenden Kathedrale angewachsen, wurde mit jeder Sekunde größer. Langsam schwebte sie weiter, merkte, dass sie
ihre Richtung ein wenig änderte, wenn der Wind sie erfasste.
Eine Seifenblase, dachte sie, ich bin eine Seifenblase. Schön,
aber verdammt leer. Bei diesem Gedanken musste sie lachen,
und sie hörte plötzlich ein Kichern. Erst Sekunden später begriff sie, dass dieses Kichern von ihr stammte.
Von irgendwoher hörte sie das Brummen wieder, und es
wurde lauter. Vor sich ahnte sie abermals die schwarze Wolke
mit den rotierenden Sägeblättern. Ich könnte sie anfassen,
dachte sie, aber sie ist scharf. Ich könnte mich verletzen, mich
blutig schneiden, meine Handflächen zu Hackfleisch zerfetzen.
Die Wolke wurde größer. Anna blieb stehen und schaute
sich um. Die Welt schien zu einem schimmernden Dunst zu
verschwimmen. Und weiter entfernt: zwei Lichtpunkte, die
immer größer wurden, die zu riesigen Scheinwerfern wurden, zu Sonnen, gigantischen Supernovas, bereit, zu explodieren und ihr Magma über die Erde zu speien.
Langsam begriff sie, dass die Sonnen die Scheinwerfer eines Autos waren, das sich in hohem Tempo näherte. Obwohl
sie wusste, dass sie ausweichen müsste, konnte sie sich nicht
rühren. In dem Moment, als das Auto sie mit voller Wucht zu
treffen drohte, hob sie ein Windstoß behutsam auf und trug
sie sanft zur anderen Straßenseite in Sicherheit.
Kann ich platzen?, überlegte sie. Wenn mich jemand anfasst, zusticht, werde ich mich dann in einen grünen Spülmittelfleck im Schnee verwandeln?
Langsam und ohne sich umzusehen, ging sie weiter. Ihre
Füße erreichten plötzlich den Boden, und zum ersten Mal
spürte sie die Kälte an ihren Knöcheln. Der chemische Cocktail verließ jetzt ihren Körper. Bald würde es nur noch Leere
geben, den Hunger nach mehr und eine bohrende Angst.
Sie bog auf den Fußweg ab, der zur Kirche führte, in den
dunkelsten Teil des Parks. Große Bäume umgaben sie, die
Wipfel verbargen den sternenklaren Himmel, bildeten ein
riesiges, geflochtenes organisches Dach. Es war sehr kalt, und
die Kälte kam ihr plötzlich so kompakt und undurchdringlich vor wie eine Betonmauer. Ihre Beine meldeten sich, dazu
ein schwaches Ziehen im Unterleib und ein klebriges Gefühl
zwischen den Beinen.
Niemandem etwas sagen, hatte er gemahnt. Du bist nicht
»legal«. Sie hatte laut gelacht, über seine Wortwahl und über
den Inhalt seiner Worte, über diesen absurden Kommentar.
Sie war doch immerhin fast fünfzehn. Kein Kind mehr. Robban und der Kanacke hatten ebenfalls gelacht. Laut und dämlich und ohne irgendetwas zu begreifen, sie waren eben Idioten. Marko hatte sie angeschrien, sie sollten die Fresse halten,
und noch immer hatte sein Arm beschützend um ihre Schultern gelegen.
In dem Moment, in dem sie die massive Klinkerfassade
erreicht hatte, hörte sie es. Es war ein ganz anderes Geräusch.
Es hatte ebenfalls Farbe und Form, war grau, trocken, rund.
Wie eine zusammengeknüllte kleine Papierkugel, nicht größer als ein Apfel, bewegte es sich vor ihrem Gesicht. Ein
Tier? Sie streckte in der Dunkelheit vorsichtig die Hand aus,
berührte die graue Kugel, die sich augenblicklich in feinen
Staub verwandelte, der vom schwachen Wind davongetragen
wurde.
Sie drehte sich dem Gebüsch neben der Kirche zu, aber sie
sah nur Dunkelheit und den riesigen Lichtkegel einer entfernten Straßenlaterne, die ein bleiches Licht über den Schnee
warf. Dann ein neues Geräusch, ein scharfes, knackendes Geräusch. Abermals starrte sie in die Dunkelheit. Ihre Beine
schmerzten vor Kälte, und sie hatte jegliches Gefühl in den
Füßen verloren. Sie konnte außerhalb des Lichtkreises, den
die Straßenlaterne auf den gefrorenen Boden malte, nichts
sehen, aber deutlich konnte sie jetzt Schritte hören, sah sie
auch. Kompakte graublaue Würfel aus Klang, die wie Schwalben flogen, hintereinander durch die Nacht. Sie näherten sich
ihr von hinten. Wie weit war es noch bis zur U-Bahn? Hundert Meter?
Zum ersten Mal verspürte sie etwas, das an Angst erinnerte, die Angst drängte sich durch alle Schichten aus Eindrücken und Empfindungen und Farben und erinnerte sie
daran, dass sie sich allein in einem Park befand, den sie nie
zuvor betreten hatte. Sie vermutete, dass sie eine leichte
Beute wäre, dass ihr Zustand sie in Gefahr brachte, dieser
Gedanke war trotz des Rausches vorhanden. Und zum ersten Mal seit langer Zeit sehnte sie sich nach ihren Eltern
in Farsta. Nach der Geborgenheit und Vorhersagbarkeit in
dem grauen Reihenhaus. Nach dem ewigen Geplapper des
Fernsehers im Hintergrund und dem Geruch von Bratkartoffeln und Zigarettenrauch. Sogar nach dem erstickend
süßlichen Gestank aus dem Zimmer ihres Vaters, wenn
die Frau vom Heimpflegedienst seine entzündeten Wunden
neu verband.
Die Kälte zerrte an ihren Armen, und unfreiwillig schüttelte sie sich. Das hier war das Schlimmste – wenn der Rausch
abnahm. Wenn der Körper wieder über die Seele gestülpt
wurde wie ein Overall und sie nur dastehen und sich anziehen lassen konnte wie eine kleine Rotzgöre.
Als sie die Parkbänke und den Papierkorb erreichte, die
die Mitte des kleinen Parks markierten, hörte sie die Schritte
wieder. Diesmal waren sie genau hinter ihr, und sie konnte
das Geräusch nicht mehr sehen, hörte es nur.
Langsam und mit großer Mühe drehte sie sich um und sah
eine riesige Männergestalt, die im Licht der Straßenlaterne
aufragte. Der Mann ging vornübergebeugt mit langen, eiligen
Schritten. In seiner Hand funkelte ein länglicher Gegenstand,
sie wusste nicht, was, aber es ähnelte einem Messer.
Schicht um Schicht ließ der Rausch sie los, wie dann, wenn
man eine Zwiebel schält, und ihr kam eine Erkenntnis: Sie
wurde in einem dunklen Park von einem Mann verfolgt. Es
war Nacht. Sie war allein und noch immer zugedröhnt. Und
er hatte ein Messer.
Sie wollte schneller gehen, aber ihre Beine gehorchten
nicht, es war, wie durch Sirup zu stapfen. Sie merkte, wie ihre
Frustration wuchs. Es spielte keine Rolle, wie sehr sie sich abmühte. Ihre Beine waren wie ungehorsame Holzstöcke, die
immer wieder im Schnee stecken blieben. Jeder Schritt verlangte eine gewaltige Willensanstrengung. Die Angst verbreitete sich rasch in ihrem Körper, explodierte im Magen,
pflanzte sich durch die Glieder fort und verwandelte sich
endlich in ein dumpfes Pochen in Armen und Beinen.
Er hatte sie jetzt fast eingeholt.
Tausend Gedanken erfüllten ihr Bewusstsein. Bilder aus
Nachrichtenreportagen über Überfallopfer, ermordete und
vergewaltigte Frauen. Trauernde Angehörige. Eltern, die vor
einem mit roten Rosen bedeckten Sarg weinten. Wenn ich
sterbe, dachte sie, werde ich ihnen dann fehlen? Wird Robin
mein Zimmer bekommen, meine Anlage, meinen Fernseher? Wird Marko eine andere finden, an der er sich festhalten kann?
Plötzlich waren ihre Beine keine starren Stöcke mehr.
Doch sie schienen alle Lenkbarkeit und Stabilität eingebüßt
zu haben, krümmten sich unter ihrem Gewicht nach vorn
und nach hinten, als wären sie aus Gummi. Sie schaute nach
unten. Statt ihrer mit Jeans bekleideten Beine ragte unter der
Kapuzenjacke etwas hervor, das ungeheure Ähnlichkeit mit
zwei riesigen rosa Himbeerbonbons hatte. Die Himbeerbonbons gaben unter ihrem Gewicht nach, machten es ihr fast
unmöglich, das Gleichgewicht zu halten.
Aus dem Augenwinkel sah sie, wie der Mann von der Seite
her näher kam. Und obwohl sie im Grunde wusste, dass sie
halluzinierte, fuhr sie zusammen. Der Mann war unnatürlich groß, erinnerte an eine Gestalt aus einem Horrorfilm. Er
war ein Riese, er war der Hulk, er war der Turnlehrer aus der
Grundschule. Er war alle Ungeheuer, die sie je gesehen hatte,
und er kam geradewegs auf sie zu. In der Hand hielt er etwas,
das aussah wie ein riesiges Samuraischwert. Es funkelte im
Licht der Straßenlaterne.
Sie wollte auf die Laterne am Ende des Parks zu rennen,
aber die Himbeerbonbons gehorchten nicht, wackelten unter ihr. Tränen traten ihr in die Augen, ihre Ohren rauschten,
ihr Bauch tat weh. Sie verspürte eine plötzliche Übelkeit und
meinte, kotzen zu müssen, aber es kam nichts, als sie sich vorbeugte und würgte.
Als sie schon glaubte, der Mann habe sie eingeholt, sah sie
eine weitere Gestalt, die sich aus den Schatten bei den Sträuchern löste. Ein Mann in Parka, die Kapuze tief ins Gesicht
gezogen. Eine Sekunde lang spielte sie mit dem Gedanken,
seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, um Hilfe zu rufen,
aber als sie den Mund zu öffnen versuchte, passierte gar
nichts. Stattdessen knickten die Himbeerbonbons unter ihr
zusammen, und sie fiel hilflos auf die Parkbank. Sie stützte
sich mit den Händen ab. Die glitten durch die dicke Schneeschicht, bis sie endlich auf den gefrorenen Boden stießen. Mit
den letzten Kräften, die sie aufbringen konnte, kroch sie auf
das Gestrüpp zu, um dort Schutz zu suchen.
Nur wenige Sekunden darauf hatte der Mann mit dem
Schwert die Parkbank erreicht. Er schien um einiges geschrumpft zu sein, und das Schwert – das jetzt nicht mehr
aussah wie ein Schwert – ragte aus einer kleinen roten Tüte
hervor, die er in der linken Hand trug. Dann hatte der Typ
im Parka ihn eingeholt, legte ihm die Hand auf die Schulter,
rief etwas. Sie krümmte sich im Schnee zusammen, versuchte
sich in eine winzige unsichtbare Kugel zu verwandeln.
Wenn einer der Männer sie gesehen hatte, so schien doch
keiner auf ihre Anwesenheit zu achten. Vielleicht wurde sie
von den verschneiten Zweigen versteckt. Vielleicht waren die
Männer zu sehr mit ihrer eigenen Auseinandersetzung beschäftigt. Vielleicht war sie wirklich unsichtbar für die beiden, wie eine echte Seifenblase, die in dieser Nacht durch den
Park schwebte.
Sie registrierte Bruchstücke eines erregten Wortwechsels,
dann versetzte der Mann aus dem Gebüsch dem Samurai mit
einem schwarzen Gegenstand, den er in der Hand hielt, einen
harten Schlag über die Wange. Der Samurai fiel langsam und
lautlos um, wie ein im Wald gefällter Baum, und blieb nur
wenige Meter von ihr entfernt liegen. Der Mann im Parka
stieß ihn mit dem Fuß an, als suche er im Müll nach etwas,
das er soeben verloren hatte.
Eine Sekunde darauf fiel der ohrenbetäubende Schuss. Die
Kraft dieses Geräuschs war so ungeheuer, presste sie auf den
Boden, drohte ihr Trommelfell in Fetzen zu zerreißen.
Der Mann im Parka beugte sich über den Körper im
Schnee und sagte etwas.
Dann war er verschwunden, und abermals war alles still.
Sie blinzelte einige Male, schaute den Mann im Schnee an,
sah genau in seine Augen. Die waren so leer und schwarz wie
die Februarnacht. Langsam begriff sie, dass sie ihren Verfolger ansah. Den Riesen. Den Hulk. Der jetzt nur noch ein ganz
normaler Spießer in Anzug und Wintermantel war. Ein ganz
normaler toter Spießer in Anzug und Wintermantel. Um seinen Leichnam wurde die Blutlache im Schnee immer größer.
Sie dampfte ein wenig.
In der Hand hielt der Mann eine rote Plastiktüte mit dem
Aufdruck »BR-Spielwaren«. Ein Hello Kitty-Malbuch war in
den Schnee gefallen, und ein länglicher, blanker Gegenstand
ragte aus der Tüte.
Es war kein Schwert. Es war kein Messer.
Es war ein großes buntes Plastiklineal.