Gefrorenes Herz
Wenn die Verbrechen der Vergangenheit ihre Schatten in die Gegenwart werfen, ist Cold-Case-Expertin Maria Just gefragt
Polizeihistorikerin Maria Just bereitet gerade eine Ausstellung zum Thema »100 Jahre ungelöste Mordfälle« im Polizeimuseum von Kopenhagen vor. Da wird mitten in der Stadt der Generalsekretär des Roten Kreuzes auf bestialische Art ermordet. Der Tote hängt gekreuzigt an einem Geländer, auf seinem Körper wurde ein rätselhaftes Zeichen eingeritzt. Die Polizei ermittelt unter hohem Druck von Presse und Politik. Doch es ist Maria, die schließlich eine Verbindung zu einem ungeklärten Doppelmord entdeckt, der über fünfzig Jahre zurückliegt. Ein dunkles Kapitel dänischer Geschichte dringt ans Licht. So dunkel, dass jemand auch nach Jahrzehnten noch Vergeltung sucht. Kann Maria den Rachefeldzug stoppen, bevor es zu spät ist?
Ich lese super gerne Thriller aus Dänemark und Schweden sowie Finnland irgendwie haben sie das gewisse etwas, was ich in manchen Deutschen Büchern vermisse.
Die Charaktere in dem Buch sind alle super geschrieben und kommen einem Sympathisch rüber.
Es wird ein Generalsekretär des Roten Kreuzes Georg Schmidt ermordet aufgefunden, was die beiden Ermittler Mikael Dirk und seinen Kollegen Frederik Dahlin auf den Plan.
Mikael ist ein typischer Kommissar etwas frustriert und unsicher Drogen und Alkohol nicht abgeneigt. Aber trotzdem ein guter und Gewissenhafter Kommissar. Frederik sein neuer Kollege kommt aus gutem Hause ist verheiratet. Frederiks Frau hat sich in den Kopf gesetzt sofort Schwanger zu werden was auf Frederik etwas Stress erzeugt. Aber im Laufe der Geschichte ergänzen sich die beiden Super und werden ein Tolles Kollegen Team.
Der Fall zieht sich schleppend voran bis ein Bild von einem rätselhaften Zeichen was in die Leiche geritzt wurde veröffentlicht wurde. Maria Just wird auf das Zeichen aufmerksam und erinnert sich das sie es schon mal gesehen hat bei einem Doppelmord der noch ungelöst ist.
So stößt sie zu den Ermittlungen hinzu und es kommt Schwung in die Sache.
Im Laufe der Story stößt man auf Politische Skandale***Achtung Spoiler*** und Zwangsadoption. Lasst Euch überraschen.
Leseprobe
Prolog Die Ältesten der Stadt behaupteten, im Fjord lebe ein Hunderte von Jahren altes Wesen. Ein Ungeheuer, das bereits hier geherrscht habe, lange bevor die Vorväter in diese gottverlassene Bucht vorstießen, und das noch immer da draußen unter der grauweißen Oberfläche herumschwamm. Die Alten sagten, das Wesen habe alles Leben geschenkt und warte in der Tiefe, um die Toten zu empfangen. Es werde den Menschen samt seiner Sünden und Untaten verschlingen und so für eine Weile die natürliche Ordnung wiederherstellen. Aus dem Meer bist du gekommen. Ins Meer kehrst du zurück. Abergläubischen Unsinn gab es genug in diesem Land. Die Alten benutzten diese Erzählungen, um den Kindern Angst einzujagen, damit sie gehorchten. Um Widrigkeiten, Katastrophen und Tod akzeptieren zu können oder einfach nur, um für sich selbst eine Erklärung zu finden für all das Unerklärliche in dieser atemberaubend schönen, jedoch lebensgefährlichen Landschaft. Inzwischen hatten Gott sei Dank ein gewisser Glaube und eine gewisse Bildung Einzug gehalten, sodass die alten Mythen wohl hauptsächlich noch in den Touristenbroschüren zu finden waren. Im Tourismus steckte Geld, und Geld – Dollar, D-Mark, Kronen, you name it – war nötig, wenn es hier eine Zukunft geben sollte. Sehr viel mehr Geld. Sehr viel mehr Vernunft, verdammt.
Doch ein besorgniserregend großer Teil der Hohlköpfe da draußen lebte noch immer nach den alten Mythen und Gutenachtgeschichten. Diese Leute glaubten an Geister, Butzemänner, beseeltes Dies und beseeltes Das. Und gaben das Ganze an ihre Kinder weiter. Wie viele Generationen mussten durchlaufen werden, ehe man dieser Idiotie Herr wurde? Sie blickte durch das Panoramafenster auf den Fjord und zog gedankenversunken an ihrer Zigarette. Eigens importierte Gauloises mit Filter, ein Mitbringsel von einem der Gäste des heutigen Abends. Der Rauch überdeckte für einen gesegneten Moment den Mief, den ihre Alkohol und Schweiß ausdünstende Abendgesellschaft hinterlassen hatte. Diese Dänen, was war nur los mit ihnen? Man konnte meinen, den in gemäßigten Breiten Geborenen fehle jede Fähigkeit, ihre Körpertemperatur zu regulieren, ganz gleich, ob sie sich in der Polarnacht unter freiem Himmel oder im Haus, umgeben von bollernden Heizkörpern, aufhielten. Die Leute bezeichneten sie als stark. Eine Frau, die keinen Mann brauchte. Die das Drängen ihres Vaters auf Schwiegersohn und Enkelkinder freundlich, aber bestimmt beiseite gewischt hatte. Sie war eine Frau, die sich zum Entsetzen der älteren Frauen gegen die Mutterschaft entschieden hatte. Eine alte Freundin hatte ihr neulich – im Irrglauben, sie sei unfruchtbar – angeboten, ein Kind für sie zu empfangen und auszutragen. Ein Gabenkind. Der Vorschlag war sicher lieb gemeint, aber ganz ehrlich: Sie hatte noch Tage später gelacht. »Tut mir leid, aber kennen wir uns überhaupt?«, hatte sie die Freundin scherzhaft gefragt, und die Freundin hatte ihr Angebot und ihre dienstwillige Gebärmutter weggepackt. Beschämt, gekränkt und vielleicht auch verärgert. Seitdem hatten sie nicht mehr miteinander gesprochen.
Wie auch immer: Der Gedanke ans Mutter sein lockte sie nicht, und ein Mann hätte es schwer, sich an ihrer Seite zu behaupten. Nicht nur aufgrund ihres Abschlusses an einer der renommiertesten Universitäten Europas und des gesellschaftlichen Status ihrer Familie. Nein, es hatte etwas mit der Art zu tun, wie sie nach außen hin auftrat. Mit einem Selbstbewusst sein und einer aufrechten Haltung, die sie größer erscheinen ließen als ihre bescheidenen eins zweiundsechzig. Überheblich, würden böse Zungen in der Stadt sagen. Sollten sie ruhig. Auf deren Anerkennung konnte sie gut verzichten. Ihr Gesellschaftsteuern war in erster Linie Leuten von außerhalb gewidmet. Gebildeten Menschen. Die dem Abschied der Gäste folgende Leere mochte sie nicht. Den eintönigen, prunklosen Alltag zwischen zwei Festen. Sie befand sich am liebsten im Zentrum der Aufmerksamkeit. Am Kopfende des Tisches, in der Mitte der Tanzfläche, alle Augen auf sich gerichtet. Sie gab sich einen Ruck. Überlegte, eine Schallplatte auf dem Grammofon aufzulegen, aber nein, es war spät. Sie sollte besser schlafen, statt sentimental am Fenster herumzustehen. Sie stutzte, als die Zigarette erneut in ihrem Sichtfeld erschien. Die graue Asche war beinahe bis zum Filter gewandert, während sie sich ihren Gedanken hingegeben hatte. Sie betrachtete den dünnen weißen Rauch, der nicht nach oben stieg, sondern unruhig zur Seite tanzte. Sie sah sich im Wohnzimmer um. Irgendwo musste ein Fenster gekippt sein. Mit einem Seufzen begab sie sich auf einen leicht schwankenden Rundgang durchs Haus, durchs Esszimmer, die offene Küche und weiter hinaus in den Flur, wo sie sich einen Moment im Spiegel betrachtete. Die Pumps mit den acht Zentimeter hohen Absätzen hatte sie letzten Herbst viel zu teuer in Kopenhagen gekauft. Pinkes Kleid mit modischem Schnitt: figurbetont um Schultern und Brüste, weit ausgestellter Rock, ultrakurz.
Die Frisur ein strenger Pagenschnitt mit noch strengerem Pony. Schwarz geschminkte Augen, rote Lippen. Zumindest waren sie rot gewesen, als der Abend begann. Sie schlüpfte aus den Schuhen. Die überhitzten, schmerzen den Füße in der dünnen Nylonstrumpfhose registrierten augenblicklich den kalten Luftzug, der offenbar durch das gekippte Fenster hereindrang. Die Dielen knarzten kaum hörbar unter ihren Schritten. Vielleicht waren es die Putzfrauen. Planmäßig sollten sie erst morgen Vormittag kommen, aber sie wusste, dass die beiden katzbuckelnden, ununterbrochen schnatternden Weiber die Angewohnheit hatten, bereits in aller Herrgottsfrühe aufzutauchen, wenn sie außer Landes war. Vielleicht hatten sie sich im Datum geirrt. Dann stand er auf einmal hinter ihr im Flur. Sie spürte seinen Atem und drehte sich um. Er hielt mit einer Art unterdrücktem Knurren die Luft an, als er sich aus den Schatten materialisierte. Wie ein Raubtier. Ihr Körper, der instinktiv mit Furcht auf die unerwartete Gestalt reagiert hatte, entspannte sich. Er hatte sie schon den ganzen Abend lang angesehen. Sie schweigend über den Tisch hinweg mit seinen ungewöhnlich eisblauen Augen und diesem unergründlichen Blick beobachtet, mit dem Männer sie häufig anstarrten, wenn sie zur Höchstform auflief. Er hatte mit ernster Miene an ihren Lippen gehangen und ihren Gesten, was sie wie stets in solchen Situationen dazu verleitet hatte, ihre Stimme zu heben und noch pointierter zu argumentieren. Ihr Vater hatte immer gesagt, sie sei die geborene Politikerin, sollte sie eines Tages in seine Fußstapfen treten; sie besaß nicht nur den Mut, ihre Meinung offen kundzutun, sie verstand es auch, sie zu untermauern.
Für gewöhnlich deutete sie diesen Gesichtsausdruck bei Männern als perplexe Bewunderung. Als fasziniertes Staunen angesichts der modernen selbstständigen Frau, bei der selbst die Erfolgreichsten unter ihnen nicht recht wussten, wie sie sich verhalten sollten, die sie aber natürlich jagen und erlegen mussten. Gewisse Dinge änderten sich niemals. »Oh, du?«, sagte sie und versuchte, die zwei Wörter nonchalant und gleichzeitig einladend klingen zu lassen. Sie bereute die beiden letzten Drinks des Abends. Die Kontrolle über ihre Feinmotorik war beeinträchtigt. Aber sie hatte auch wirklich nicht mit einem ergiebigen Ende des Abends gerechnet, falls man es so bezeichnen konnte. Ihr Interesse an einer Beziehung hielt sich in Grenzen, doch sie stand zu ihren körperlichen Bedürfnissen, und in dieser Hinsicht kam ihr der Mann wie gerufen. Mit etwas Glück war er in einigen Tagen über alle Berge. Sie bräuchten einander nie wiederzusehen. »Komm rein«, fuhr sie mit einer Handbewegung fort, ehe sie sich umwandte und zurück in Richtung Wohnzimmer ging. Er folgte ihr. Erst zögernd, dann mutiger, wie sie zufrieden feststellte. Einleitendes Geplänkel und höfliches Abwarten waren manchmal der reinste Stimmungskiller. Sie hatte den Gedanken gerade zu Ende gedacht, als er unvermittelt dicht hinter ihr stand. Sie spürte dieselbe atemlose Anspannung wie zuvor von ihm ausgehen, doch nun schwang etwas anderes mit, etwas ganz und gar nicht Sinnliches. Weder Verlegenheit noch Erregung, sondern Wut. Sie er[1]haschte einen Blick auf ihren überraschten Gesichtsausdruck im Spiegel, als er sie nach hinten riss, zu Boden, und etwas um ihren Hals spannte. Es fühlte sich an, als würde ihr Kehlkopf durchgeschnitten. Sie schlug mit der rechten Hand nach ihm, bekam einen ihrer Pumps zu fassen und jagte ihm den spitzen Absatz in den Oberarm, vielleicht erwischte sie auch seinen Hals, doch er gab nicht den leisesten Schmerzenslaut von sich und zog die Schlinge nur noch strammer zu.
Sie lag nun auf dem Rücken und sah ihm direkt in die Augen. Sie trat mit aller Kraft nach ihm, doch er drehte sie brutal auf den Bauch und hockte sich mit seinem ganzen Gewicht auf sie, sodass sie mit Brust und Gesicht auf die Dielen gepresst wurde. Wie lange sie gebraucht hatte, genau diese Holzsorte, genau diesen Lack auszuwählen. Nun lag sie mit blutig zerschlagenem Gesicht auf ebendiesem Holz, ebendiesem Lack und wusste, dass sie sterben würde. Sein in ihren Rücken gebohrtes Knie schnürte ihr weiter die Luft ab. Der Puls pochte hinter den Lidern, als würde sie unter Wasser gezogen. Fast meinte sie zu sehen, wie die kleinen Blutgefäße in ihren Augen platzten. Sie sah Rot, dann Schwarz. Er sagte etwas, das sie nicht verstand. Es war ihre Sprache, allerdings mit einem merkwürdigen Akzent, was nicht nur da[1]ran lag, dass er Ausländer sein musste. Er sprach altmodisch. Wie ein Echo vergangener Zeiten. Er wiederholte es wieder und wieder, und da endlich ver[1]stand sie: »Teufelsbrut… Teufelsbrut.« Sie dämmerte weg und kam wieder zu sich, als er sie erneut umdrehte wie eine Stoffpuppe. Sie vernahm das Geräusch von reißendem Stoff. Fühlte die Nylonstrumpfhose von ihrer Taille gleiten, als er das Bündchen aufschnitt. Ein brennender Schmerz schoss durch ihre Haut, als er zwei, drei, nein vier Linien in ihren Bauch ritzte. Durch den Nebel aus Schmerz sah sie verschwommen, wie er sein Werk mit zusammengekniffenen Augen begutachtete. Dann zog er die Hand abermals quer über ihren Bauch und verlängerte einen der Schnitte, aus dem bereits das Blut quoll.
Sie wollte sich wehren, doch ihre Glieder gehorchten ihr nicht. Es war so leicht für ihn. Ihr ganzes Leben hatte sie gewusst, dass sie ihre eigene Herrin sein, allein zurechtkommen, unabhängig und stolz sein wollte. Er hatte sie im Bruchteil einer Sekunde gebrochen. Er sah sie an, und in den meerblauen Augen stand abgrundtiefer Hass. Sie konnte nicht mehr. Die Dunkelheit wollte sie umfangen. In diesem Moment hörte sie wieder die Stimme aus der Vergangenheit. Sie klang nicht länger zornig, sondern klein. Lieblich. Lockend und vertrauenerweckend. Sie sang. In der tiefen Stimme des erwachsenen Mannes schwang etwas Unschuldiges mit. Wie bei einem Kind, das eine Strophe auswendig gelernt hat und sie unermüdlich herunterleiert. Die Worte waren ihr wohlvertraut. Natürlich waren sie das. Es war das Schlaflied über die Seele des Meeres, das auch ihre Mutter für sie gesungen hatte. Das Mütter seit jeher in diesem Land sangen. Schlaf jetzt. Sie ließ sich von dem Gesang der Kinderstimme einlullen, während die Kälte von unten in sie hineinströmte wie eisiges Meerwasser in ein leckes Boot. Und sie sah das mythische Meereswesen aus der Dunkelheit auf sich zukommen. In einem flüchtigen Moment der Überraschung bemerkte sie die wunderschöne Silhouette des Tieres. Unglaublich. Die Alten hatten recht gehabt. Die ganze Zeit über. Das Meer gibt, das Meer nimmt, und jetzt, dachte sie, jetzt kommt das Meer, um mich zu holen. Das Letzte, was sie hörte, war der Refrain der Jungenstimme:
Ich bin das Meer. Das Meer ist in mir. Ich bin das Meer. Das Meer ist in mir. Ich bin das Meer…