Der Kreis des Bösen
Psychothriller
Michaela Baltzer 3
Erscheinungstermin: 20. August 2018
448 Seiten,
Der Kreis des Bösen
In Wien werden eine Prostituierte und eine Studentin brutal ermordet. Das Team um die LKA-Ermittlerin Michaela Baltzer übernimmt den Fall der toten Prostituierten. Um den Mord an der Studentin kümmert sich eine andere Einheit. Doch als weitere brutale Morde geschehen, wird deutlich, dass die Taten in einem direkten Zusammenhang stehen. In der Folge gehen die Ermittler davon aus, dass sie es mit einem einzigen Serienmörder zu tun haben – ein fataler Irrtum. Schließlich ist es der verurteilte psychopathische Serienkiller Kilian Weilmann, der den entscheidenden Hinweis liefert, um den Tätern auf die Spur zu kommen. Für Michaela ist es aber womöglich schon zu spät – denn sie steht im Fokus eines der Mörder …
Rhena Weiss
Rhena Weiss = alias von Berta Berger , Jahrgang 1969, lebt mit ihrer Familie in Niederösterreich.
Neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit arbeit sie als Sozialpädagogin in Wien.
Neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit arbeit sie als Sozialpädagogin in Wien.
Das Buch ist super geschrieben und alle Personen sind gut beschreiben.
Die Hauptperson Michaela Baltzer hat es gleich mit verschiedenen Herausforderungen zu tun nicht nur die Morde sondern auch mit ihrem neuem Kollegen Matthias.
Der Neue Kollege Matthias ist unsympathisch und griesgrämig und neidisch. Eigentlich ist Michaela Froh das sie nicht mit ihm zusammenarbeiten muss.
Am Anfang sieht alles so aus als ob es zwei Fälle gibt einmal den Mord an der Prostituierten und einmal den Mord an einer Studentin.
Doch während der Ermittlungen wird dann Klar das die beiden Fälle irgendwie miteinander verbunden sind.
Nun hat Michaela dann doch den Unsympathischen Matthias in ihrem Ermittlungsteam.
Es kommt dann raus das es bei den Morden um ein Wettkampf im Internet geht,wo Prometheus und Mephisto sich einen Wettstreit liefern in dem sie auch Bilder ihrer Leichen immer wieder austauschen als Anstachelung für den nächsten Mord.
Die Beiden haben sich in einem Soziopahten Forum kennengelernt mit dem Namen "Der Kreis des Bösen" Prometheus ist der Schüler und Mehisto übernimmt die Rolle des Lehrmeisters.
Wärend der Handlung wird einem schnell klar das die beiden sich immer und immer wieder neu anstacheln größere Herausforderungen anzunehmen.
Ich für mich muss sagen ich finde die Geschichte Spannend geschrieben und die Handlung ist auch klar und Verständlich.
Auch die Handlung das es nicht nur um Mord geht ist super den es geht ja um den Wettstreit von zwei Soziopahten,was man so auch selten als Handlung in einem Buch bis jetzt so gelesen hat. (Ich zumindest)
Auch hat man zwei Perspektiven im Buch einmal die Sicht von den Ermittlern aber auch die Sicht der Soziopahten.
Man hat recht schnell eigentlich auch die Lösung gefunden aber das nimmt trotzdem nicht die Spannung den man muss ja auch lesen ob man die richtige Lösung hat und wie nun alles genau gewesen ist.
Also ich kann nur sagen es ist eine Tolle und mal Andere Handlung die einem doch ein Paar Stunden Lese - Spannungs Vergnügen bereitet.
Leseprobe
Prolog
Es war enttäuschend, wie leicht und vor allem wie
schnell alles gegangen war.
Wie oft hatte er es sich in seinen Träumen ausgemalt,
sich in allen Details vorgestellt, wie ihr Röcheln klingen würde, wenn sie die letzten Atemzüge tat? Oder wie
sich ihre Augen weiteten und der Glanz in ihren Pupillen im Moment ihres Todes erlosch.
Doch die Realität war unbefriedigend, nicht mehr als
ein Abklatsch seiner Fantasie. Nachdem sie freiwillig zu
ihm ins Auto gestiegen war, blieb ihm nicht mal das Vergnügen der Jagd. In keiner seiner Vorstellungen – und
er hatte die Tat in vielen verschiedenen Variationen gedanklich durchgespielt – musste er mit offenen Autofenstern nach Hause fahren, weil es in seinem Fahrzeug
bestialisch stank, nachdem das Opfer Kot und Urin verloren hatte. Der Tod war weder edel noch rein, wie er
zu seiner großen Enttäuschung feststellen musste. Als
seine Großmutter gestorben war, hieß es, es wäre eine
Erlösung für sie gewesen, und als er ihr Gesicht betrachtet hatte, das bei seinem letzten Besuch vor ihrem Tod
verzerrt vor Schmerzen gewesen war, sah sie tatsächlich
aus, als hätte sie ihren Frieden gefunden. Doch der Rest
war entweder Einbildung, Show oder gute Arbeit des
Bestattungsinstituts.
Außerdem hatte die Nutte ihn gekratzt. Dass Huren
aber auch immer raubtierartige Krallen anstelle normaler Fingernägel tragen mussten, als würden sie ihnen
zur Selbstverteidigung dienen! Vielleicht war das sogar
der Fall. Doch aufgrund dieser unguten Situation war
ihm nichts anderes übrig geblieben, als ihre rechte
Hand abzutrennen, damit seine DNA nicht unter ihren
Nägeln gefunden werden konnte. Zur Sicherheit hatte
er die Hand an einer weit entfernten Stelle im Wald vergraben, nicht sehr tief, aber doch so, dass niemand zufällig darüberstolperte. Denn hier wimmelte es nicht
nur von Tieren, sondern auch von Spaziergängern. Was
hätte er sonst mit dem toten Stück Fleisch und Knochen
anfangen sollen? Etwa im Auto behalten? Diese blöde
Nutte! Er hatte nicht damit gerechnet, sich mit solchen
Schwierigkeiten herumschlagen zu müssen. Immerhin
war es eine Genugtuung, dass ihr die Klauen nicht geholfen hatten, ihrem Schicksal zu entrinnen. Trotz des
brennenden Schmerzes auf seinem Handrücken hatte
er seinen Griff erst gelockert, als er sicher sein konnte,
dass sie wirklich tot war. Ihr Hals ähnelte dem eines
Huhns, dünn und faltig. Als Dreizehnjähriger hatte er
einen ganzen Sommer auf dem Bauernhof seines Onkels
verbracht. Sie hatten bis heute nicht herausgefunden,
dass er für das Verschwinden der Hühner verantwortlich war.
Seit damals hatte ihn die Vorstellung nicht losgelassen, einen Menschen mit bloßen Händen zu töten. Achtzehn Jahre hatte es gedauert, bis er seine Fantasie in
die Tat umsetzen konnte, achtzehn Jahre, in denen er
seine Träume genährt hatte, bis sie zu einem Ideal anwuchsen, an das die Wirklichkeit nicht heranreichen
konnte – vorerst.
Er konnte es kaum erwarten, Mephistopheles von seiner Tat zu berichten. Wahrscheinlich würde er ihm nicht
glauben, deshalb hatte er, vorausschauend wie er nun
mal war, Beweisfotos angefertigt. Nicht umsonst nannte
er sich Prometheus, der in der griechischen Mytho logie
nicht nur als »der Lichtbringer«, sondern auch als »der
Vorausdenkende« bezeichnet wurde. Einen passenderen
Nicknamen hätte er gar nicht wählen können.
Kapitel 1
Ächzend hob Michaela die Kiste mit Valeries Sachen in
den Kofferraum, während ihre Nichte die Reisetasche
auf den Rücksitz hievte. »Mehr kriegen wir beim besten
Willen nicht mehr ins Auto. Ich kann kaum glauben,
dass das alles in dein Zimmer gepasst hat.«
Valerie grinste. »Und ich kann nicht glauben, dass
das alles in dein Auto passt. Das Zimmer ist jetzt wohl
wieder dein Arbeitszimmer. Hoffentlich stört dich mein
restlicher Kram nicht. Ich hole ihn dann nach und nach
ab.«
»Das hat keine Eile«, versicherte sie. Solange Valerie
ein paar ihrer Habseligkeiten bei ihr lagerte, würde sie
ihre Nichte hoffentlich öfter zu Gesicht bekommen.
Eigentlich hätte Michaela nicht gedacht, dass Valerie
es mit dem Konservatorium ernst meinte. Was hatte sie
nicht alles versucht, Valerie ihren Wunsch auszureden,
in Michaelas Fußstapfen treten und zur Kriminalpolizei
gehen zu wollen. Nichts hatte geholfen. Nicht einmal,
dass sie hautnah mitbekam, womit sich Michaela bei
der Mordkommission täglich beschäftigen musste. Im
Gegenteil. Valerie fand die Ermittlungen extrem spannend und zeigte durchaus Talent für ungewöhnliche
Lösungsansätze.
Und dann – als wäre ein Schalter umgelegt worden,
hatte Valerie beschlossen, Pianistin zu werden und sich
auf die Aufnahmeprüfung vorzubereiten. Valerie war
ohne Frage ein Ausnahmetalent, und ihre Klavierlehrerin Anna Sannatoli war überzeugt, dass sie Karriere
machen konnte. Michaela übrigens ebenso.
Da Michaela kein eigenes Klavier besaß und ihre
Nichte für die Prüfung täglich üben musste, hatten sie
gemeinsam mit Valeries Eltern beschlossen, dass das
Mädchen die paar Wochen bis zur Rückkehr von Thomas
und Angelika aus Lesotho in der elterlichen Wohnung
bleiben sollte. Schließlich war sie nun siebzehn, da war
sie wirklich kein Kind mehr – ein Umstand, auf den
Valerie ohnehin ständig hinwies.
Für Michaela, die sich nun beinahe ein Jahr um ihre
Nichte gekümmert hatte, bedeutete das, dass sie wieder
alleine leben würde – und es graute ihr jetzt schon davor, auch wenn sie es nicht zugeben wollte.
Als Valerie in ihr Leben geplatzt war und es von heute
auf morgen komplett umgekrempelt hatte, dachte sie,
sie würde sich nie daran gewöhnen, dass sie plötzlich
Verantwortung für jemand anderen trug. Sie hatte sich
abgewöhnt, ständig Überstunden zu machen. Der Kühlschrank war auf einmal immer gefüllt, sie hatte sogar
kochen gelernt. Na ja, zumindest halbwegs.
Sie würde die gemeinsamen Joggingrunden, die Shoppingtouren, die Gespräche und die Kochabende vermissen, sogar das Chaos im Bad und im Gästezimmer, das
sie ihrer Nichte überlassen hatte. Und auch die neugierigen Fragen, die ihr so sehr auf die Nerven gegangen
waren, würden ihr fehlen. Trotzdem freute sie sich über
Valeries Entschluss. Konzertpianisten lebten eindeutig
weniger gefährlich als Kripobeamte.
Michaelas Zeigefinger fuhr unbewusst über die Narbe
auf ihrer linken Augenbraue. Schnell ließ sie die Hand
sinken, startete den Motor ihres VWs, legte den ersten
Gang ein und fuhr los.
Die Wohnung von Valeries Eltern lag im sechsten Wiener Gemeindebezirk in der Nähe der Mariahilferstraße,
der größten Einkaufsstraße Wiens. Die Wohnung umfasste zwei Etagen. In der unteren befanden sich die
Praxisräume von Thomas und Angelika, in der oberen
die Wohnräume.
Die Arztpraxen wurden während der Abwesenheit
von Michaelas Bruder und Schwägerin von zwei jungen Ärzten weitergeführt, in der Wohnung sah die Putzfrau weiterhin nach dem Rechten – und natürlich war
Valerie regelmäßig hier, um Klavier zu üben. Trotzdem
wirkten die Räume ohne Thomas und Angelika seltsam
leer und verlassen.
»Einfach dorthin«, sagte Valerie und deutete auf eine
Stelle auf dem Boden vor ihrem Bücherregal.
Michaela stellte mit einem Stöhnen die Kiste ab, ließ
dann den Riemen der Reisetasche von ihrer Schulter
gleiten und streckte den Rücken durch. Vielleicht hätte
sie doch mehrmals gehen sollen, anstatt zwei schwere
Stücke auf einmal zu tragen.
»Soll ich dir beim Ausräumen helfen?«, fragte sie.
Valerie winkte ab. »Danke, aber das schaff ich schon.
Ich hab ja jede Menge Zeit. Wir wär’s mit einem Kaffee?«
»Gerne. Den haben wir uns jetzt verdient.«
Ein paar Minuten später standen sie in der Küche, und
Michaela sog den Duft des frisch gemahlenen und gebrühten Kaffees ein. Thomas und Angelika hatten sich
einen dieser sündteuren Vollautomaten gekauft, mit
dem man den absolut perfekten Kaffee für jeden Geschmack herstellen konnte. Espresso, Latte macchiato,
Cappuccino … sogar heiße Schokolade oder Teewasser,
alles auf Knopfdruck. So einen hätte sich Michaela fürs
Büro gewünscht, denn der Automatenkaffee schmeckte
grauenhaft. Doch selbst, wenn sie und ihre beiden Kollegen Doris und Vincent zusammenlegen würden, wäre
solch ein Gerät immer noch viel zu teuer – für sich
alleine zu Hause erst recht.
»Wenn du dich in der großen Wohnung einsam fühlst
oder Angst bekommst …«, hob sie an, doch Valerie unterbrach sie. »Tante Mika, du machst es schon wieder!«
Beschwichtigend hob Michaela die Hände. »Okay,
entschuldige.« Seit Valeries Entführung vor einem
Dreivierteljahr benahm sie sich immer noch wie eine
Glucke und ging damit ihrer Nichte regelmäßig auf die
Nerven. Valerie hatte ihr sehr direkt gesagt, dass sie
nicht vorhabe, ihr weiteres Leben aufgrund der unangenehmen Erfahrung (genauso hatte sie es bezeichnet)
in Angst und Schrecken zu führen. Sie wolle sich weder einschränken noch verkriechen. Eigentlich eine sehr
bewundernswerte Haltung und ein Zeichen von großer
psychischer Reife, und doch fiel es Michaela schwer,
Valeries Einstellung zu teilen. Denn sie konnte nicht
vergessen, wie es sich angefühlt hatte, als ihre Nichte
sich in den Fängen eines Wahnsinnigen befand, und sie
in der Angst lebte, sie könne zu spät kommen, um das
Mädchen lebend zu befreien.
Wäre Bernd nicht gewesen, hätte sie wohl den Verstand verloren. Bernd, der in der Zwischenzeit viel mehr
geworden war als bloß ein Arbeitskollege und Nach12
bar – und der sich jetzt am anderen Ende Österreichs in
einem Rehabilitationszentrum, das sich auf neurologische Erkrankungen spezialisiert hatte, befand. Manchmal hatte Michaela das Gefühl, sie würde allen, die ihr
nahestehen, Unglück bringen – zuerst Valerie, dann
Bernd. Doch insgesamt waren beide mit einem blauen
Auge davongekommen. Anders betrachtet könnte man
auch sagen, dass sie ohne Michaelas Zutun nicht mehr
am Leben wären.
Auf Bernds Drängen hin hatte Michaela die geplante
Reise nach Lesotho mit Valerie angetreten. Sie hatte sich
erhofft, ein wenig Abstand zu gewinnen, sich über ihre
Gefühle klar zu werden, um herauszufinden, ob und
wie es mit ihr und Bernd weitergehen sollte. Eine gemeinsame Nacht reichte schließlich noch lange nicht,
um darauf eine Zukunft aufzubauen.
Am meisten bereitete ihr die Tatsache Sorgen, dass
Bernd und sie beide im LKA arbeiteten. Beziehungen in
der gleichen Dienststelle brachten unweigerlich Probleme mit sich, auch wenn sie beide gänzlich unterschiedliche Funktionen ausübten: sie die leitende Ermittlerin eines der Teams in der Abteilung Leib und
Leben, er als Kriminalpsychologe, der gleichermaßen
für die seelische Gesundheit der Mitarbeiter als auch
für die Erstellung von Täterprofilen und das Verfassen
von Gutachten zuständig war.
Und dann waren da noch rein praktische Überlegungen, die sie ebenfalls beschäftigten, wie ein gemeinsamer Wohnsitz beispielsweise. Sollten sie etwa aus den
Doppelhaushälften ein gemeinsames Haus machen?
Ging das überhaupt? Sie bezweifelte, dass man einfach
die Verbindungswand durchbrechen konnte. Würde er
nach nebenan zu ihr ziehen oder sie zu ihm, oder würden sie eines der beiden Häuser verkaufen? Wollte sie
das überhaupt? Sie hatte zu lange als Single gelebt, um
ihre Freiheit und ihre Eigenheiten aufzugeben.
Allerdings hatte Valeries Anwesenheit ihr auch gezeigt, dass
sie zwar gern allein, aber nicht gern einsam war. Schnell
fiel man in alte Verhaltensmuster zurück, und wenn
ihre Nichte nun wieder zu Hause wohnte, musste sie
zusehen, dass ihr nicht genau das passierte. Sie wusste
selbst, dass ihre frühere Lebensweise nicht gerade gesund gewesen war, sie hatte das typische Klischeebild
einer Kripo beamtin erfüllt: unausgewogene Ernährung,
meist nur Essen, das irgendwie schnell im Vorbeigehen mitgenommen werden konnte, dafür kannenweise
Kaffee. Kein ordentlicher Dienstschluss – sie arbeitete
zu Hause an ihren Fällen weiter (okay, das hatte sie
auch nicht ganz ablegen können, nachdem Valerie bei
ihr lebte). Zu wenig Schlaf und zu viel Wein, um überhaupt schlafen zu können – nicht, dass sie Alkoholikerin war … aber womöglich wäre sie irgendwann zu einer
geworden, wenn sie so weitergemacht hätte. Mit ihrer
Nichte im Haus war weitgehend Schluss mit den ständigen Überstunden, der ungesunden Ernährung und der
nächtlichen Flucht vor der Einsamkeit in die Arbeit.
Stattdessen hatten sie zusammen gekocht und Michaela hatte einiges von Valerie gelernt, wenn auch noch
lange nicht genug. Sie waren regelmäßig joggen gewesen, hatten oft bis spät in die Nacht diskutiert. Sie hatten gestritten und sich versöhnt, gelacht, geweint. Sie
waren gemeinsam an Bernds Krankenbett gesessen und
hatten sich gegenseitig Halt gegeben – und sie waren
nach Lesotho geflogen, eine Reise, die Michaela ihrer
Nichte geschenkt hatte, damit sie ihre Eltern besuchen
konnte. Die Erlebnisse und Erfahrungen dort würden
sie beide nie mehr vergessen. Die Gastfreundschaft, die
Freundlichkeit, die gänzlich andere Lebensweise. Die
Menschen dort besaßen so wenig und waren doch zufrieden mit dem, was sie hatten – und dankbar für alles,
was man für sie tat.
»Tante Mika, dein Handy hat gesummt«, unterbrach
Valerie Michaelas Gedanken. Sie blinzelte sich aus den
Erinnerungen zurück in die Wirklichkeit. »Oh, ich hatte
es gar nicht gehört.« Sie holte ihr Smartphone aus der
Hosentasche und warf einen Blick auf das Display. Sie
hatte eine neue Textnachricht erhalten.
Sie stammte von Harald, dem Leiter der forensischen
Abteilung.
Michaela, wie wär‘s zur Abwechslung mal mit einem
simplen Mordfall?
Michaela musste bei Haralds Wortwahl lächeln.
»Scheint ja eine gute Nachricht zu sein«, stellte Valerie
fest.
Sie zuckte mit den Achseln. »Wie man‘s nimmt. Sie
ist von Harald.«
»Oh!«
»Er fragt, ob ich einen einfachen Mord übernehmen
will.«
Valerie grinste. Auch sie wusste, wie kompliziert Michaelas letzte Fälle gewesen waren. »Ich dachte, Steurer
würde die Zuständigkeiten bestimmen.«
»Schon. Aber in der Regel hält er sich an das Motto:
Wer zuerst Hier schreit, bekommt den Fall.«
Steurer war Michaelas Vorgesetzter, ein sehr umgänglicher, verständnisvoller Chef, der zu hundert Prozent
hinter seinen Mitarbeitern stand. Abgesehen von seinen wirklich grässlichen Karohemden, die er in nahezu
jeder Farbkombination besaß und die er stets im Präsidium trug, konnte sich Michaela keinen besseren Chef
wünschen.
»Und willst du ihn?«
Michaela dachte einen Moment nach. Anstatt an
einem neuen Fall zu arbeiten, hätte sie auch einen der
älteren wieder aufrollen können. Für die blieb in der
Regel ohnehin kaum Zeit, doch sie sollten deshalb nicht
in Vergessenheit geraten. Sie konnte sich vorstellen, wie
schwierig es für die Angehörigen war, solange der Tod
eines ihnen nahestehenden Menschen nicht aufgeklärt
wurde.
Das würde bedeuten, dass sie jeden Tag um Punkt
halb vier Schluss machen könnte, nach Hause eilte und
die Nachmittage … nicht mit Valerie verbrachte, sondern
alleine.
Wenn wenigstens Bernd hier gewesen wäre, dann
hätten sie vielleicht sogar ein paar Tage wegfahren können. Nur er und sie. Spaziergänge, gemeinsame Nächte,
Zukunftspläne schmieden, solche Dinge eben.
Sie konnte also weder mit Valerie noch mit Bernd ihre
Freizeit verbringen und da sie jetzt schon Angst hatte,
die Decke könne ihr auf den Kopf fallen …
»Na, fahr schon«, ermunterte Valerie sie und stieß sie
sanft mit dem Ellbogen an.
Michaela deutete mit dem Kopf in Richtung Valeries
Zimmer. »Und du schaffst den Rest wirklich allein? Ich
meine, den ganzen Kram aus den Kisten zu räumen und
zu verstauen? Und einkaufen wollten wir auch noch,
damit du das Nötigste im Haus hast.«
»Keine Sorge, ich komme klar. Und einkaufen können wir morgen. Oder ich erledige es nach und nach.
Ist ja nicht so, dass ich für mich allein so schrecklich
viel brauche.«
Michaela zögerte. Nicht, weil sie den Fall als zu geringe Herausforderung empfand. Vielleicht tat es ihr
einmal ganz gut, sich nicht mit irgendwelchen irren
Serien mördern beschäftigen zu müssen. Back to basics,
sozusagen. Nein, es war mehr das Gefühl, Valerie nicht
im Stich lassen zu wollen.
»Komm schon, wer weiß, welchen Fall du sonst zugewiesen bekommst. Und du weißt ja: Wer zuerst am Tatort ist …«
Sie gab sich einen Ruck und straffte die Schultern.
»Du hast recht. Ich melde mich dann bei dir. Wenn es
nicht allzu spät wird, kann ich dir danach beim Auspacken helfen.« Entschlossen stürzte sie den Rest des kalt
gewordenen Kaffees hinunter und stellte den Becher auf
die Arbeitsplatte.
Ehe Michaela die Tür hinter sich zuzog, rief ihr Valerie hinterher: »Vergiss ja nicht, mich anzurufen, wenn
du mit der Tatortbesichtigung fertig bist.«
Wie hätte Michaela das vergessen können?! Auch
wenn Valerie sich anstelle der Polizistenlaufbahn für
eine Karriere als Musikerin entschieden hatte, war sie
immer noch neugierig. Sie würde Michaela mit Anrufen
bombardieren, bis sie die Informationen bekam, die sie
haben wollte. Das Mädchen war nämlich nicht nur neugierig, sondern auch hartnäckig. Zwei Eigenschaften,
die sie miteinander teilten. Auch sonst war Valerie ihr
ähnlicher, als sie sich eingestehen wollte. Und gerade
das jagte Michaela manchmal eine Heidenangst ein.