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Die Schweigende
Manche Erinnerungen hinterlassen tiefe Narben auf der Seele ...
München, 2019. Im Garten der Familie Remy verdorren langsam die Rosenbüsche, die zur Geburt der drei Töchter gepflanzt wurden. Imke, Angelika und Anne sind längst erwachsen und gehen ihrer Wege – bis zu dem Tag, an dem ihr Vater beigesetzt wird. Denn auf dem Sterbebett nimmt er Imke ein Versprechen ab, das schnell eine zerstörerische Kraft entfaltet – und das sie alles hinterfragen lässt, was sie über ihre Mutter zu wissen glaubt.
1956. Im Nachkriegsdeutschland wächst eine neue Generation heran. Die lebenslustige Karin spart für ihre erste Jeans, träumt von Elvis Presley und davon, später Ärztin zu werden. Sie ahnt nicht, dass die Schatten der Vergangenheit lang und mächtig sind – und welch verheerenden Folgen eine spontane Entscheidung haben wird. Nicht nur für sie.
Nach dem großen Erfolg von »Das Erbe« der neue Roman der Bestsellerautorin Ellen Sandberg.
Das Buch ist Flüssig und Bildhaft gut geschrieben so das man sich das alles sehr gut vorstellen kann und sich auch gut reinversetzten kann. Was sehr hart ist an einigen Stellen.
Ja eigentlich ist es nach außen hin eine ganz normale Familie Vater, Mutter und drei Kinder.
Der Vater war Jahrelang für die Mädchen beides er war Vater und Mutter zusammen, die Mutter schaffte es einfach nicht nähe zuzulassen und den Kindern die Liebe zu zeigen.
Nun sind die Mädchen erwachsen und müssen den schweren Schicksalsschlag verkraften das der Vater gestorben ist .
Am Sterbebett allerdings nimmt er seiner Tochter Imke noch ein Versprechen ab, sie soll Peter finden den Bruder von Karin, von dem sie bis dahin alle nie was gehört hatten.
So macht sich also Imke dran die Rätsel der Vergangenheit zu lösen um Peter zu finden so wie sie es ihrem Vater versprochen hat.
Bei der Suche nun nach Peter tun sich nun Abgründe auf und es wird eine fürchterliche Reise in eine Schreckliche Vergangenheit von Schlägen Seelischen Missbrauch und auch sexuellen Missbrauch.
Vom Leben im Kinderheim bei Nonnen.
Je weiter sie suchen desto mehr kommt Verständnis für das Verhalten der Mutter bei den Frauen auf bei der einen mehr bei der andern weniger.
Fazit von mir:
Ich muss sagen Ellen Sandberg hat wie in ihren Vorherigen Büchern es auch hier wieder geschafft alle Personen super zum Leben zu erwecken man kann wieder sich in alle Charaktere rein versetzten mal mehr mal weniger. Viele Handlungen kann man nachvollziehen und ich muss auch sagen es ist ein hartes Thema.
Auch bei diesem Thema hat Ellen Sandberg nichts verschönt dargestellt sie hat es knallhart auf den Punkt gebrach.
Ich muss sagen dieses Buch ist sehr Heftig und man muss schon sehr Starke Nerven haben um es zu lesen.
Leseprobe
Karin
Sie lag im Gras und blinzelte in die Sonne, die durchs Blätterdach fiel und tanzende Lichtreflexe auf ihr Kleid malte. Es passte ihr obenrum nicht. Es schnürte sie ein. Es nahm ihr die Luft zum Atmen. Der Stoff kratzte fürchterlich. Überall juckte es. Am Bauch, an den Beinen, am Rücken. Sie hielt es nicht länger aus, sprang auf und riss sich das Kleid vom Leib. Herrlich, wie der Wind ihre Haut kühlte. Der Duft von Butterkuchen stieg ihr in die Nase. Sie war so hungrig, dass ihr das Wasser im Mund zusammenlief, doch sie wusste, dass sie ihn nicht essen durfte. Wenn sie das tat, würde etwas Schreckliches geschehen. Hoch oben im Baum sang ein Vogel. Der Wind frischte auf, und eine kühle Böe fuhr ihr ins Haar. Dunkle Wolken schoben sich vor die Sonne. Der Kuchengeruch verschwand. Stattdessen roch es nach Himbeeren. Süß und faulig. Verdorben. Verdorben. So wie sie. Du taugst nichts! Der Geruch verursachte ihr Übelkeit. Der Wind wurde heftiger. Sie wollte gehen. Sie musste ihn suchen. Obwohl sie wusste, wo er war.
Und es zugleich nicht wusste. Es war paradox. Es war zum Verrücktwerden. Ich weiß es, und ich weiß es nicht. Ihre Haut brannte wie Feuer. Sie lief zum Bach und hüpfte hinein. Doch da war kein Wasser. Himbeerranken umgaben sie wie ein wogendes Meer, gruben ihre Haken aus Metall ins Fleisch, rissen es auf. Blut lief in Rinnsalen an ihr hinab. Ein Vogel kam angeflogen. Sie wollte nach ihm greifen. Er verwandelte sich in ein Tuch und legte sich um ihren Hals. Sie bekam keine Luft mehr. Sie erstickte! Mit einem Schrei wachte Karin auf. Ihr Herz schlug in wilden Schlägen. Mit zitternden Fingern tastete sie nach der Nachttischlampe und schaltete sie ein. Jens, halt mich. Das wollte sie sagen. Doch er war nicht mehr da. Er war gegangen. Vor ihr. Nach vierundfünfzig gemeinsamen Jahren. Es war unfassbar, dass es ihn nicht mehr gab. Karin schlüpfte in den Morgenmantel und ging hinunter in die Küche. Die Uhr zeigte Viertel nach drei. Aus dem Kühlschrank nahm sie die angebrochene Flasche Luganer, schenkte sich ein Glas ein und setzte sich damit auf die Terrasse. Es hatte geregnet. Die Nacht war kühl, und das war gut. Ihr rasendes Herz beruhigte sich. Warum suchte dieser Traum sie nach Jahrzehnten wieder heim? Als junge Frau hatte sie ihn regelmäßig geträumt. Nach der Geburt der Mädchen war er verblasst und hatte sich rargemacht. Nun kehrte er mit aller Macht zurück. Was wollte er ihr sagen? Etwa, dass sie zu früh aufgegeben hatte?
Imke
Die Biene gab nicht auf. Wieder und wieder flog sie gegen die Scheibe des Wohnzimmerfensters, krabbelte ein Stück nach oben und startete einen neuen Versuch, sobald sie den Rahmen erreichte. Eine Weile beobachtete Imke das kleine Drama, dann ging sie in die Küche, nahm ein Glas vom Regal und eine Postkarte ihrer Schwester Geli vom Kühlschrank. Damit kehrte sie ins Wohnzimmer zurück, stülpte das Glas über die Biene und schob die Karte darunter. Das Surren wurde tiefer und hektisch. Mit der Rettungskapsel auf der Hand trat Imke auf die Terrasse und ließ die Biene frei. Die Luft war nach dem Regenguss der vergangenen Nacht frisch und klar, doch der Himmel noch grau verhangen. Es war einer dieser Tage, die sich seit Papas Tod häuften. Tage, an denen sie schon am Morgen wusste, dass sie alle Kraft von ihr fordern und sie sich am Abend ein Glas Chardonnay einschenken würde, um runterzukommen. Genau wie ihre Mutter es seit über fünfzig Jahren tat. Dabei hatte sie nie wie Mama werden wollen, die ihr bestenfalls ein negatives Vorbild gewesen war. Was sie in ihrem Leben anders machen würde, hatte Imke bereits mit fünfzehn gewusst.
Bis auf ein paar Kleinigkeiten hatte sie das gut hinbekommen. Das Glas Wein beispielsweise, nach einem anstrengenden Tag. Wobei sie nur gelegentlich Chardonnay trank, im Gegensatz zu Mama, die sich täglich ihr Glas Luganer gönnte. Schlimmer war die Mauer, die Imke immer wieder einreißen musste. Wenn ihr Mann Moritz zärtlich wurde, baute sich binnen Sekunden diese verdammte Mauer auf, und sie wehrte ihn häufig ab, obwohl sie das nicht wollte. Warum konnte sie seine Nähe nicht gleich zulassen? Weshalb gab es diesen Widerstand in ihr, der ihr auch nach beinahe zwanzig Ehejahren noch immer weismachen wollte, dass sie es nicht wert war, geliebt zu werden. Diese blöde Macke, von der sie instinktiv wusste, dass sie sie auf verschlungenen Wegen von ihrer Mutter geerbt hatte. Die Biene verschwand aus ihrem Blickfeld. Imke ging hinein. Schon halb neun. Ihre Familie war längst ausgeflogen. Moritz stand jetzt auf der Baustelle eines Einkaufszentrums in Regensburg, für dessen Statik er verantwortlich war. Ihre Zwillinge Steffi und Tobi saßen in der Schule und bereiteten sich aufs Abi im kommenden Jahr vor. Hoffentlich. Ganz sicher konnte sie nicht sein. Es war Freitag und daher möglich, dass die beiden wieder einmal fürs Klima demonstrierten, während sie versuchte, hier in ihrem Reihenmittelhaus in München-Obermenzing den täglichen Spagat zwischen Hausfrau, Mutter und selbständiger Übersetzerin hinzukriegen. Wobei die Aufträge von Jahr zu Jahr weniger wurden. Übersetzungsprogramme nahmen ihr die Butter vom Brot. Deshalb hatte sie sich entschlossen, ihr Hobby zum zweiten beruflichen Standbein auszubauen. Die Herstellung hochwertiger Seifen. Im Moment konnte sie das allerdings vergessen. Eine weitere Aufgabe schlich sich an:
Mama. Ein flaues Gefühl breitete sich in Imke aus. Um diese Verantwortung riss sie sich nicht. Doch sie würde an ihr hängen bleiben. Denn sie lebte nur fünfhundert Meter von ihrem Elternhaus entfernt. Seit Papas Tod vor acht Wochen bewohnte Mama es allein und kam nicht gut zurecht. Bei dem Gedanken an ihren Vater setzte sich ein Druck in ihre Kehle. Er war so überraschend gestorben, und viel zu früh. Kurz vor seinem neunundsiebzigsten Geburtstag. Wobei sie immer erwartet hatte, nicht nur seinen Achtzigsten, sondern auch seinen Neunzigsten mit ihm zu feiern. Mit Mama eher nicht. Ihre Mutter hatte zeitlebens zu viel Wein getrunken und kaum Sport getrieben, während ihr Vater auf seinem Rennrad und später auf dem Mountainbike kilometermäßig die Erde sicher mehrmals umrundet hatte. Als er vor zwei Jahren die Steigung am Deininger Weiher nicht mehr hinaufgekommen war, hatte er sich ein E-Bike zugelegt. »Das ist kein Mofa«, hatte er erklärt. »Man keucht die Berge trotzdem hinauf, allerdings mit ein bisschen elektrischer Unterstützung, was in meinem Alter sinnvoll ist. Ich will nicht absteigen und schieben. Ich will aber auch nicht tot vom Rad plumpsen.« Und doch hatte er es beinahe so gemacht. War im Klinikgarten einfach umgefallen. Einen Tag vor der Entlassung, während Imke immer davon ausgegangen war, dass Mama vor ihm sterben würde. Und nun war sie es, um die man sich kümmern musste. Und nicht er, für den sie das gern getan hätte. Wie dankbar sie rückblickend dafür war, dass sie bei ihm sein konnte, als er starb. Das Schicksal hatte dafür gesorgt, dass er nicht allein war, an diesem strahlend schönen Märztag voller Verheißung, die kurz darauf in Fassungslosigkeit und Trauer umgeschlagen war.