Das Mädchen Jannie

 

Vom Großvater an Miro verkauft, zieht die elternlose Jannie mit einigen Frauen bettelnd über Land. Sie weiß nicht, ob sie zehn oder schon elf Jahre alt ist, aber sie weiß von Kindern, die in feinen Häusern arbeiten müssen, weil sie für den Straßenstrich zu jung sind. Während Kommissar Klinkhammer sich bemüht, Licht ins Dunkel um sieben verscharrte Kinderleichen zu bringen, gelingt Jannie die Flucht. Sie wird von Dieter auf seinem einsamen Hof aufgenommen und kümmert sich liebevoll um dessen Mutter. Die alte Frau liegt gelähmt und stumm im Bett, mit Augenzwinkern versucht sie Jannie begreiflich zu machen, in welcher Gefahr sie schwebt. Doch Jannie kennt keine Morsezeichen………

 

Biografie

Petra Hammesfahr wurde mit ihrem Bestseller »Der stille Herr Genardy« bekannt. Seitdem erobern ihre Spannungsromane die Bestsellerlisten, werden mit Preisen ausgezeichnet und erfolgreich verfilmt, wie aktuell »Die Sünderin«. Der Roman wurde unter dem Titel »The Sinner« mit Jessica Biel in der Hauptrolle als erfolgreiche Netflix-Serie produziert.

 

Jannie hatte bis her noch keine glückliche Kindheit schon früh wurde sie an eine Gruppe Bettler Frauen verkauft da sie für den Straßenstrich eben noch zu Jung ist. Sie lernt wie es ist erniedrigende arbeiten für Reiche Leute auszuüben.

Auch weiß sie gar nicht wie alt sie genau ist irgendwann hat sie da den Faden verloren. Wären dessen werden Kinderleichen gefunden wo Kommissar Klinkhammer die Ermittlungen aufnimmt.

Als es dann einen Mord an einer prostituierten passiert gelingt es Jannie zu fliehen und sie findet Unterschlupf bei Dieter in seiner Scheune. Dieter findet Jannie und lässt sie bei sich wohnen. Jannie kann ihr Glück kaum glauben und schöpft nun Hoffnung das alles gut wird. Außer Dieter lebt noch seine kranke Mutter mit in dem Haus.

Die Mutter die, die kranke Fantasie von Dieter kennt und genau weiß was er vor hat kann Jannie aber nicht helfen den sie ist Stumm und gelähmt und Jannie kann die Hinweise nicht deuten von der alten Frau.

Das Buch ist in verschiedene Bereiche unterteilt einmal geht es um die Ermittlungen von dem Kommissar und dann aber auch eben was gerade min Jannie passiert. Es wird auch drauf eingegangen wie Brutal und teilweise Pervers der Menschenhändler Ring ist und das auch vor Kindern nicht halt gemacht wird ( Nix für Schwache Nerven).

An sich ist es eine Tolle Geschichte die sich aber zieht wie Kaugummi und es oft wiederholte Passagen gibt die man dann immer wieder wiederholt lesen muss.

Teilweise ist es echt langweilig und man möchte einfach Seiten überspringen und direkt das Ende lesen.

Ich hab mich teilweise durch das Buch gequält einmal weil es eben diese Wiederholungen gab aber auch weil keine Spannung aufkam, wen dann Spannung da war wurde sie durch ein neues Kapitel unterbrochen.

 

Allein Jannie hat mich gefesselt wie die Geschichte nun mit ihr ausging und weiter ging hat mich das Buch zu ende lesen lassen.

Ich kann aber nun nicht sagen das es total Langweilig war das Buch wen ich nun Sterne vergeben könnte würde ich für die Jannie Story 5 Sterne geben  für die Ermittlungen des Kommissars 3 Sterne da es sich zieht und immer wieder wiederholt. Für die Nebengeschichte muss ich dann 2 Sterne geben einmal weil es sich auch zieht und weil es nicht wirklich in die Story passt es ist wie ein eigenes Buch.

 

 

 

Leseprobe

TEIL 1

Werdegang eines Mörders Mitte Oktober Es war so einfach, viel einfacher als jedes Szenario, das er jemals in Gedanken durchgespielt hatte. Entlang des Straßenstücks zwischen dem Autobahnanschluss und der Unterführung hielten sich drei junge Frauen auf. Letzten Freitag um die Zeit hatte er fünf gezählt. Nutten, so wurden sie von den meisten betitelt. Den Ausdruck empfand er als abwertend. Prostituierte klang ihm zu sperrig und zu hochtrabend. Bordsteinschwalben, manche im Dorf nannten sie noch so antiquiert, obwohl es an der Landstraße keine Bordsteine gab, nur den schmalen Randstreifen, auf dem die Frauen in ihren High Heels hin und her trippelten in der Hoffnung auf Kundschaft. Für ihn waren sie Strichmädchen, weil sie alle so dünn und noch so jung waren. Vermutlich hatte keine von ihnen die zwanzig überschritten. Die erste sah er bei der Unterführung stehen. Wenn er sie angesprochen hätte, hätte die zweite sein Auto gesehen, und nicht nur sie. Die zweite lief nämlich gerade zu einem weißen Lieferwagen, wie ihn Handwerker benutzten, der nur knapp hundert Meter weiter in den Wirtschaftsweg zwischen dem Biotop und einem abgeernteten Rübenacker gesteuert worden war. Den Lieferwagen hatte er schon zu oft in diesem Straßenabschnitt gesehen, um noch davon auszugehen, es säße ein interessierter Kunde drin. Das war der Zuhälter, der die Strichmädchen mehrmals täglich kontrollierte.

Vielleicht befand sich hinten in dem Fahrzeug auch eine Waschgelegenheit. Irgendwo mussten die sich zwischendurch doch mal frisch machen, wenigstens die Zähne putzen. Mehr als eine Schüssel und ein Kanister mit Wasser dürfte ihnen aber nicht zur Verfügung stehen. Im Grunde war es eklig, für ihn jedoch optimal wegen der Spuren. Um erwischt zu werden, musste man heutzutage gar nicht unbedingt in Verdacht geraten. Die Polizei machte mittlerweile Massengentests, wenn sie mit ihren Ermittlungen nicht weiterkam. Und sie würden garantiert auch dann alle Register ziehen, wenn es eines der Strichmädchen erwischte, allein schon um zu beweisen, dass in einem Rechtsstaat eine vom Straßenstrich denselben Stellenwert hatte wie ein Mädchen aus dem Ort. Da müsste jeder Mann zwischen sechzehn und siebzig eine Speichelprobe abgeben. Wer sich weigerte, machte sich verdächtig und wurde ganz genau unter die Lupe genommen. Aber bei einer, die häufig wechselnde Kontakte hatte, konnte man DNA und Fasern vergessen. Er hatte genug darüber gelesen, Fernsehdokumentationen zum Thema aufgezeichnet, sich mehrfach angesehen und mit verschiedenen Szenarien abgeglichen. Deshalb wusste er, worauf man bei welcher Variante achten musste. Wenn man eine Leiche irgendwo ablegte und sie bald entdeckt wurde, überließ man den Ermittlern das wichtigste Beweisstück überhaupt. Vergrub man das Opfer und es wurde erst nach längerer Zeit gefunden, sah die Sache schon besser aus, falls man nicht zum persönlichen Umfeld gehörte und erkennungsdienstlich noch nicht erfasst worden war. Wenn es keine Leiche gab, weil man sie gründlich beseitigt hatte, gab es andere Spuren, die einem zum Verhängnis werden konnten. Blut am Tatort zum Beispiel. Man mochte es noch so gründlich wegschrubben, die machten es wieder sichtbar. Wenn das Opfer von der Bildfläche verschwunden war und die Polizei zuerst beweisen musste, dass überhaupt ein Mord geschehen war, suchten sie nach Blut. Und wenn man dafür gesorgt hatte, dass keine Blutspuren zurückblieben, waren sie aufgeschmissen.

In Sachen Spurenvernichtung oder -vermeidung machte ihm keiner etwas vor. Um den Tatort zu schützen, brauchte man zwei große, reißfeste Plastikplanen. Auf dem Boden ausgebreitet, verhinderten sie, dass sich Blut in Kachelfugen oder Bodenritzen verewigte. Später konnte man die Leiche darin einwickeln und schützte so auch das Transportmittel. Während der Tat trug man Kleidung, die danach vernichtet wurde, am besten verbrannt. Für die letzte Grundreinigung nahm man einen Hochdruckreiniger. Wenn man sich länger mit dem Opfer beschäftigen und es zwischendurch ruhigstellen wollte, brauchte man Klebeband und Kabelbinder. Beides konnte man in jedem Baumarkt kaufen. Wenn man bar zahlte, ließ sich das nicht zurückverfolgen. So weit konnte man einen Mord vorausplanen und steuern. Es blieb im Vorfeld nur ein Unsicherheitsfaktor. Zeugen. Wie das zweite Strichmädchen und der Zuhälter im Lieferwagen, der durch die herabgelassene Seitenscheibe etwas entgegennahm, wahrscheinlich die Einnahmen der letzten Stunden. Im Gegenzug reichte er eine Tüte heraus, vermutlich etwas zu essen. Er sah es im Vorbeifahren. Dann schrumpfte der Lieferwagen im Rückspiegel zu einem hellen Fleck in der Landschaft und verschwand Sekunden später völlig aus seinem Blickfeld, weil er eine Kuppe passierte. Und dann sah er die dritte Frau vor sich. Sie stieg am Rand der Gegenfahrbahn gerade aus einem älteren, blauen Nissan, der sofort wieder abfuhr. Am Steuer saß ein Fettsack mit einem genüsslichen Grinsen auf dem Gesicht. Zumindest bildete er sich ein, so ein Grinsen zu sehen. Die Frau bückte sich, hantierte an einem Schuh oder dem Saum ihrer Hose. Giftgrüne Leggins, dazu trug sie ein feuerrotes, knappes Jäckchen und lila Plateaupumps. Sexy sah das nicht aus, nur bunt. Aber er wollte auch keinen Sex mit ihr. Er wollte töten, seine Wut ausleben, Macht kosten. Herr sein über Leben und Tod. Langsam ein Lebenslicht ausblasen und zusehen, wie es erlosch. Wie die Augen brachen. Hieß es doch immer. Und was sollte man sich unter brechenden Augen, vorstellen?

Lief da plötzlich ein Riss durch die Pupille? Oder waren tote Augen bei Menschen nur genauso trüb wie bei Tieren? Er hatte noch keine Leiche mit offenen Augen gesehen und wusste es nicht. Natürlich wollte er auch hören, wie sie um Gnade bettelte, um ihr Leben flehte, alles Mögliche und Unmögliche versprach, damit er sie gehen ließ. Der blaue Nissan war hinter der Kuppe verschwunden. So weit er die Straße überblicken konnte, waren beide Richtungen frei. Er hatte die Geschwindigkeit schon vorher gedrosselt. Nun zog er auf die Gegenfahrbahn hinüber und brachte seinen Wagen beinahe punktgenau neben der Frau zum Stehen. Das gewagte Manöver schien sie zu überraschen. Wahrscheinlich hatte sie nicht auf den Verkehr geachtet und ihn nicht kommen sehen. Für einen Moment wirkte sie zu Tode erschrocken. Sie war immer noch mit ihren Pumps oder dem Saum ihrer Leggins beschäftigt und schoss förmlich in die Höhe, entspannte sich jedoch rasch wieder. Er ließ die Scheibe an der Beifahrerseite herunter. Sie beugte sich zu ihm herein, streifte die Aldi-Tüte im Fond mit einem raschen Blick und lächelte professionell. Aus der Nähe betrachtet sah sie noch jünger aus, als er erwartet hatte, siebzehn vielleicht, höchstens achtzehn. »Wie viel?«, fragte er. »Blowjob zwanzig.« Sie sprach mit dem harten Akzent des Ostens, dabei klang ihre Stimme weich, beinahe süßlich und so jung, wie sie aussah. »Machst du auch andere Sachen?«, fragte er. Ihr Lächeln verrutschte und signalisierte Unsicherheit, wenn nicht sogar Angst. Mit anderen Wünschen schien sie nicht gerechnet zu haben. Den meisten Männern, die auf dem Heimweg von der Arbeit oder nach Einkäufen etwas Entspannung suchten, war ein schnelles Blaskonzert im Auto wohl auch am liebsten. »Nichts Abartiges«, beschwichtigte er umgehend. »Nur GV mit Gummi. Ich geb dir hundert, wenn wir es richtig machen. Bei mir zu Hause, in meinem Bett. Du ziehst dich ganz aus und nimmst vorher eine Dusche. Wenn ich dir beim Duschen zusehen darf, geb ich dir sogar zweihundert.« Schon bei »hundert« hatte sich ihr unsicheres Lächeln wieder in eine Geschäftsmiene verwandelt. Bei zweihundert nickte sie. Die Straße war immer noch frei in beide Richtungen. »Steig ein«, sagte er. Und sie stieg ein. So einfach war das.

 

Puzzleteile 1

Der Wechsel zur Operativen Fallanalyse – kurz OFA – beim LKA fiel Arno Klinkhammer nicht leicht, bescherte ihm jedoch schon unmittelbar nach seiner Ankündigung, dass er dem Ruf nach Düsseldorf folgen werde, im privaten Bereich eine Art von Anerkennung, mit der er nicht mehr gerechnet hatte. Carmen Rohdecker, ihres Zeichens Oberstaatsanwältin in Köln und seit Kindesbeinen die beste Freundin seiner Frau, gratulierte ihm. Ohne den gewohnt sarkastisch bissigen Unterton, nur ein schlichtes: »Glückwunsch, Arno, du hast es dir verdient.« Gefolgt von einem: »Sag ich dir nicht seit Jahren, dass du es draufhast?« Carmen musste man nehmen, wie sie war. Klinkhammer hatte sich schon vor langer Zeit abgewöhnt, ihre ironisch bis zynischen, manchmal beleidigenden Äußerungen allzu nahe an sich heranzulassen. Zu Anfang ihrer Bekanntschaft hatte sie ihn wegen der Uniform gerne als grünes Männchen tituliert in der Hoffnung, er ließe die Finger von ihrer Freundin. Ihrer Meinung nach hatte Ines – Tochter aus vermögendem Elternhaus, Vater Fabrikbesitzer – einen Mann verdient, dessen Ehrgeiz sich nicht darin erschöpfte, Streifenwagen zu fahren, Taschendiebe zu schnappen und Ehestreitigkeiten oder Wirtshausschlägereien zu schlichten. Noch dazu stammte Klinkhammer aus einfachen Verhältnissen und musste mit dem auskommen, was er verdiente. Nach seinem Wechsel zur Kripo war er in Carmens Achtung gestiegen.

Ihr Respekt hatte seinen Höhepunkt erreicht, als er im April 2000 quasi im Alleingang einen Serienmörder überführte, dem der BKA-Fallanalytiker und Sonderermittler Thomas Scheib seit acht Jahren auf den Fersen gewesen war. Aus anfänglichen Querelen mit Scheib war eine Freundschaft entstanden, die sich für Klinkhammer ausgezahlt hatte. So hatte er auf Kosten des BKA an einigen Fortbildungsmaßnahmen teilnehmen dürfen, von denen einer wie er sonst nur träumen konnte. Carmen war davon ausgegangen, dass er mit seinem neuen Wissensstand um eine Versetzung nach Köln ersuchte, wo man ihrer Ansicht nach dringend fähige Köpfe brauchte. Damit hatte sie zweifellos recht, nur zog es Klinkhammer nicht in die Großstadt. Er fühlte sich wohl in der Provinz, musste sich fortan nur Carmens Sticheleien anhören. An ihrem Verhalten änderte sich nicht einmal etwas, als er zum Ersten Kriminalhauptkommissar und Leiter des KK 11 in Hürth befördert wurde. Das bezeichnete sie als das Ende der Fahnenstange für ihn. Und dann das: »Glückwunsch, Arno. Sag ich dir nicht seit Jahren …« Wahrscheinlich glaubte sie, ihre spitze Zunge hätte ihn nach Düsseldorf gescheucht. Dabei war es eher die Aussicht, beim LKA nicht mehr unmittelbar mit den Opfern von Gewalttaten und deren Angehörigen konfrontiert zu werden, wobei ihm seine Empathie oft wie ein Strick um den Hals lag. Dass er im Gegenzug mit Verbrechen konfrontiert wurde, bei denen er, wenn es zu Festnahmen kam, den ersten Absatz von Artikel drei des Grundgesetzes vorübergehend gerne außer Kraft gesetzt hätte … Als Polizist durfte er so etwas nicht einmal denken. Als Mensch fand er, bei der Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz sollte es Grenzen geben, der Gesetzgeber müsse endlich einsehen, dass der humane Strafvollzug nicht für alle Straftäter geeignet war. Wer keine Humanität kannte, lachte sich dabei nur ins Fäustchen. Mit Bandenkriminalität, Zwangsprostitution, Kinderpornografie und Pädophilen-Netzwerken hatte er sich in Hürth nicht befassen müssen. Bei Mord, Totschlag, Erpressung, Entführung und anderen Kapitaldelikten war er gezwungenermaßen in die zweite Reihe zurückgetreten, wenn die Kölner Kollegen anrückten und die Ermittlungen übernahmen.

Wenn dann einer kam, der alles besser wusste als der »Provinzprofiler«, wie ihn manche nannten, war das keine zufriedenstellende Zusammenarbeit gewesen. Beim LKA war das anders. Dort waren sein Wissen, seine Erfahrung, seine Intuition und seine oft unorthodoxe Herangehensweise an eine Sachlage gefragt. Der Leiter der Abteilung drei mochte eine Ausnahme sein. Fred Hasselt verstand etwas von Kriminalitätsauswertung, Statistik und dergleichen. Ein Polizist war er nicht. Und er wusste nicht, wie er mit einem Mann umgehen sollte, der sich aus einem Streifenwagen in der Provinz über interne Fortbildung hochgearbeitet und einen Freund beim BKA hatte. Aber mit Fred Hasselt hatte Klinkhammer wenig zu tun, und die Kollegen schätzten ihn. Sogar die aus Köln, wie sich bald zeigte. Jeder, der ihn persönlich kannte, meinte ihn anrufen und um einen Rat oder seine Meinung bitten zu können. Carmen Rohdecker gab sich ungewohnt freizügig, wenn es darum ging, seine private Handynummer preiszugeben. Sie verwies in den folgenden Monaten sogar regelmäßig an ihn, wenn es bei Ermittlungen in ihrem Zuständigkeitsbereich hakte. Die Kollegen aus Hürth, mit denen er einige Jahre zusammengearbeitet hatte, kontaktieren ihn ebenfalls häufig. Oberkommissarin Rita Voss, die sich während seiner Zeit beim KK 11 als seine rechte Hand betrachtet hatte, meldete sich schon drei Wochen nach seinem Wechsel, um von einem, wie sie es nannte, kuriosen Fall zu berichten, den sie nicht einzuordnen wusste. Im nördlichen Rhein-Erft-Kreis war ein Mann namens Peter Wirtz Opfer eines Raubüberfalls geworden. Das jedenfalls hatte er im Bergheimer Krankenhaus zu Protokoll gegeben. Nun war seine Frau in der Dienststelle Hürth erschienen und hatte energisch verlangt, jemand müsse ein ernstes Wort mit Peter sprechen. Den Worten seiner Frau zufolge war Peter Wirtz Stammkunde auf dem Straßenstrich gewesen und immer zum selben Mädchen gegangen, einer gewissen Tasha, der er jedes Mal einen Schein extra zugesteckt habe.  

 

Letzteres betonte Gisela Wirtz, um klarzumachen, was für ein gutmütiger Mensch ihr Peter war. Tasha war offenbar verschwunden. Und die drei Männer, die Peter so furchtbar verprügelt hätten, vor denen er nun panische Angst hatte, wären überzeugt gewesen, er hätte Tasha umgebracht. »Mir hat er das sofort gebeichtet«, sagte Gisela Wirtz. »Im Krankenhaus hat er dann behauptet, es wäre ein Raubüberfall gewesen. Aber so geht das doch nicht. Stellen Sie sich mal vor, Tasha ist tatsächlich umgebracht worden. Peter war das nicht, für den lege ich beide Hände ins Feuer. Und wissen Sie, was das heißt? Dass bei uns ein Mörder frei herumläuft. Da muss man doch was unternehmen, ehe der Kerl sich die Nächste schnappt.« Das sah Rita Voss ebenso. Sie suchte den erheblich verletzten Peter Wirtz im Krankenhaus auf und hörte von ihm noch einmal dasselbe, was er bereits den Bergheimer Kollegen erzählt hatte. Raubüberfall, schwere Körperverletzung, unbekannte Täter, von denen einer mitten auf der Straße neben einem unbeleuchteten Fahrzeug gelegen hätte. »Ich hab nur den Warnblinker gesehen und dass da einer lag. Hab angehalten, wollte Erste Hilfe leisten und bekam von hinten eins über die Rübe. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.« Wie seine Frau auf drei Täter gekommen war, warum Gisela überhaupt so etwas behauptete, konnte Peter Wirtz sich beim besten Willen nicht erklären. Straßenstrich. Er doch nicht. »Schauen Sie mich an.« Er war stark übergewichtig. »Sex ist mir viel zu anstrengend. Bei uns zu Hause spielt sich schon lange nichts mehr ab. Dafür auf dem Strich Geld ausgeben, so dicke haben wir es nicht.« Rita Voss glaubte ihm nur den Teil, der sich zu Hause abspielte. Es gab schließlich Spielarten beim Sex, die nicht anstrengend waren, die eine biedere und ebenfalls übergewichtige Ehefrau aber vielleicht ablehnte. Sie versuchte es mit gutem Zureden und den Argumenten, die Gisela Wirtz vorgebracht hatte. Frei laufender Mörder.

Das nächste Opfer könnte ein Mädchen aus dem Ort sein, ein unschuldiges Kind womöglich. Doch egal was sie vorbrachte, Peter Wirtz blieb bei seiner Version. Als sie Klinkhammer anrief, war Rita ziemlich frustriert. Sie betrachtete es als persönliche Niederlage, Peter Wirtz nicht wenigstens das Geständnis entlockt zu haben, Kunde auf dem Straßenstrich zu sein und Tasha mehr Geld zugesteckt zu haben, als sie üblicherweise verlangte. Auch das hätte ein Motiv für eine Gewalttat sein können. In den meisten Fällen wussten Kolleginnen, was bei den anderen abging. Wenn eine aus Neid gepetzt hatte, Tasha daraufhin gefilzt worden und dabei ein Extraschein ans Tageslicht gekommen wäre, hatte sie womöglich als Erste Prügel bezogen und war dabei umgekommen. Ebenso gut konnte sie sich mit ihren Extrascheinen abgesetzt haben und der spendable Freier aus Wut darüber zusammengeschlagen worden sein. »Was hältst du von der Sache, Arno?« Was sollte Klinkhammer davon halten? Er gab ein paar Ratschläge, auf die Rita schon alleine gekommen war. Mit Kollegen sprechen, die den Straßenstrich kannten, sich mal auf der Straße umhören und nach Tasha fragen. Solange es keine Leiche gab, konnte man nicht mehr tun.

 

Roman

Erscheinungstermin: 19. August 2019

512 Seiten

 

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