Der Keller                                                                                                                 ***Werbung***

Hannah und Heiko sind glücklich verheiratet und freuen sich auf ihr erstes Kind. Da erreicht Hannah der Hilferuf ihres Vaters: Ihre Mutter sei depressiv und selbstmordgefährdet, Hannah möge doch bitte kommen. Trotz ihrer Schwangerschaft fliegt sie in die Toskana, wo ihre Eltern ein Ferienhaus besitzen. Im Flugzeug lernt sie einen charmanten Herrn kennen, und da der Flieger erst am späten Abend in Florenz landet, nimmt sie die Einladung des sympathischen Fremden zu einem Abendessen in seinem Palazzo gerne an. Seitdem gibt es von Hannah kein Lebenszeichen mehr. Ihre Familie ist vollkommen verzweifelt, und auch die Polizei ist ratlos. Denn Hannah ist nicht die letzte junge Frau, die in der Toskana spurlos verschwindet.

 

Man möchte dieses Buch eigentlich gar nicht mehr aus der Hand legen.

Es ist Spannend von Anfang an und man ist sofort in der Handlung drinnen.

Alle Handlungen gehen eins ins andere über und sind verständlich geschrieben und auch sind die Handlungen aller Charaktere sind nachvollziehbar wen auch erschreckend.

Der Ermittlungen fangen erst auf bitten der Familie an. Die beiden Länder (Italien/Deutschland) sind nicht gerade Lustvoll am Anfang bei der Arbeit was sich aber im laufe der Geschichte ändert und es tauchen tiefe Abgründe auf die einen echt erschrecken es sind nicht nur die Abgründe die einen an das Buch fesseln auch die Skrupellosigkeit die in der Story steckt. Denn Hannah ist erst der Anfang einer grausamen Mordserie.

Die Geschichte ist super geschrieben und ist teilweise schon sehr Heftig aber es ist alles Niveau vollgeschrieben und alles ist gut nachvollziehbar.

Das Ende des Buches ist das einzige was nicht ganz so passend zu dem Buch ist, irgendwie fehlt da was, so hatte ich das Gefühl von der Story her. Man ist irgendwie zwar Fertig mit dem Buch und es ergibt auch alles einen Sinn aber irgendwie hat man doch noch das Gefühl da fehlt was.

 

Leseprobe

1 Toskana, Oktober 2017

Ein leichter, durchsichtiger Nebel lag wie ein Schleier über dem Tal, hellorange ging die Sonne auf, und der Wetterbericht sagte achtzehn Grad voraus. Mitte Oktober. Weinlese in der Toskana. Ein wunderschöner Herbsttag kündigte sich an. Eberhard stand im Bademantel vor dem Haus und genoss die klare, frische Luft. Atmete tief durch. War für einen kurzen Moment entspannt und mit sich im Reinen. Die Seitenwände des Pools schimmerten bereits grünlich, Algen bildeten sich, und auf der Wasseroberfläche schwammen braungelbe Blätter. Er würde sie später herausfischen. Überhaupt erschien ihm das Wasser dunkler als sonst. Egal. Er würde dieses Jahr keine Chemie mehr hineinkippen und keine Zeit mehr darauf verwenden, den Boden zu saugen und die Wände zu scheuern. Er hatte beobachtet, dass sie nicht mehr richtig schwimmen konnte. Sie hatte es offenbar verlernt und wusste nicht, wohin mit ihren Armen und Beinen. Zweimal hatte er gesehen, dass sie unterging wie ein Stein, und er hatte sie gerade noch rechtzeitig aus dem Wasser ziehen können. Es war kein schöner Sommer gewesen.

Ute lag noch im Bett. Sie schlief viel in letzter Zeit, zehn oder zwölf Stunden waren keine Seltenheit. Früher war sie nach sechs Stunden Schlaf immer wach und voller Tatendrang gewesen. Aber auch diese Zeiten waren vorbei. Er ging ins Haus, zog den Bademantel aus und stellte sich unter die warme Dusche. Das war der schönste Moment des Tages, und er sang leise vor sich hin. »Imagine all the people, living life in peace …« Er stellte die Dusche aus, trocknete sich ab, schlüpfte in Unterwäsche, Jeans und Pullover und lief nach oben ins Schlafzimmer. Sie lag auf dem Bett und schäumte. Ihr Speichel bildete Bläschen, die sich wie winzige Seifenblasen auf ihrem Gesicht türmten. Sie wimmerte leise. »Ute!«, rief er und packte ihre Hand. Sie reagierte nicht. »Wach auf! Red mit mir!« Keine Reaktion. Sie war nicht bei Bewusstsein. Erst jetzt sah er die ausgedrückten Tablettenverpackungen: Herztabletten, Abführmittel, Schlaftabletten, Entwässerungspillen, Antibiotika, Cortison. Ein Mördercocktail. Sie hatte alles geschluckt.

Eberhard rief den Notarzt.

2 Berlin-Schönefeld

 Er schätzte sie auf Ende zwanzig, Anfang dreißig. Vielleicht auch älter. Sie hatte ein mädchenhaft glattes Gesicht mit klarem Teint und kleinen Augen. Wahrscheinlich würde sie in zehn Jahren kaum anders aussehen. Sie war mittelgroß und eigentlich schlank, aber nur bis zur Taille. Ihre Hüften waren ausladend und ihre Beine ziemlich dick. Das passte so gar nicht zu der im Grunde zierlichen Person. Er musste grinsen. Sie hatte das Handgepäck auf ihren Koffer gestellt und rollte beides Zentimeter für Zentimeter vorwärts. Obwohl es in der Abfertigungshalle kühl war, wischte sie sich ständig den Schweiß von der Stirn, und nur dann ließ sie für einen Moment ihre Tasche los. Offensichtlich war sie alleinreisend. Sehr gut. Zwischen ihm und der jungen Frau stand nur ein älteres Ehepaar in der Schlange. Betont lässige, aber sehr teure Kleidung. An den Koffern weder ein Staubkorn noch ein Kratzer, die Haare ordentlich frisiert, die Fingernägel kurz und perfekt manikürt.

Er ging davon aus, dass sie nach Florenz flogen, um von Palazzo zu Palazzo, von Kirche zu Kirche und von Museum zu Museum zu wandern. Ein oder zwei Wochen pralles Kulturund Kunstprogramm. Bei der jungen Frau konnte er sich das nicht so recht vorstellen. Er hatte sie unentwegt und sehr gut im Blick. Jetzt war sie an der Reihe, checkte ihr Gepäck ein und wählte einen Sitzplatz am Gang. Das sind die ganz Ängstlichen, die die Gangplätze bevorzugen, dachte er. Die, die verdrängen wollen, wie hoch sie sich über der Erde befinden. Die ständig Fluchtgedanken entwickeln und hoffen, im Notfall schneller rauszukommen. Er hörte, wie die Stewardess »Reihe 17, Platz D« sagte und der jungen Frau die Bordkarte reichte. »Boarding ist in einer Dreiviertelstunde, Gate 8B. Guten Flug.« Nach dem älteren Ehepaar war er an der Reihe. »Wo möchten Sie sitzen?«, fragte die Stewardess. »Fenster oder Gang?« »Mir egal, aber bitte in der Mitte des Fliegers. Ich bin ehrlich gestanden ein wenig ängstlich. Hätten Sie eventuell etwas in der Reihe 17? Das ist meine Glückszahl.« Die Stewardess lächelte. »Aber sicher. Ich habe in Reihe 17 noch einen Platz in der Mitte der Dreierreihe. Oder in Reihe 19 und 25 einen Fensterplatz und in Reihe 9 was am Gang.« »Dann nehme ich den Platz in Reihe 17«, sagte er schnell. Die Stewardess nickte, und nur Sekunden später gab sie ihm die Bordkarte. »Gate 8B. Guten Flug.« Er bedankte sich lächelnd. Als sie am Gate ihr Handgepäck durchleuchten ließ, stand er direkt hinter ihr. Sie war hektisch, legte Handtasche, Ticket, Halstuch, Smartphone, Tablet und schließlich auch noch ihren Gürtel in die Plastikwanne.

Dann fuhr sie sich gestresst durch die langen, dunkelbraunen Haare. Er roch ihr Parfum. Eine faszinierende Mischung aus blumig und bitter mit einem Hauch von Mandel und Orchidee. Ihr Handgepäck fuhr auf dem Band durch den Röntgenapparat, und sie trat durch den Kontrollbogen. Es piepte, was sie kaum merklich zusammenzucken ließ. Sie musste die Schuhe ausziehen. Er sah, dass sie flammend rot geworden war. Ihr empfindlicher Teint glühte, und sie ging ein zweites Mal durch den Bogen. Es piepte wieder. Verzweifelt rang sie die Hände. Die Sicherheitsangestellte sagte etwas zu ihr, das er nicht verstand, dann suchte sie die junge Frau mit dem Handkontrollgerät ab, lächelte ihr kurz zu und winkte sie weiter. Am Gate 8B stand »Florenz 19:25« an der Anzeigetafel. Die meisten Passagiere saßen wartend auf den grauen Plastiksitzen, lasen Zeitung oder tippten auf ihren Smartphones herum. Er setzte sich der jungen Frau gegenüber. Sie wusste anscheinend nicht, was sie machen sollte. Nahm ein Buch in die Hand, las eine halbe Seite, legte es wieder weg. Ständig checkte sie ihr Handy, ob eine Nachricht gekommen war, und klappte es wieder zu. Sie seufzte, durchwühlte ihre Handtasche, zog ihre Bordkarte heraus und las aufmerksam jedes Wort. Als wäre es rasend interessant. Dann nahm sie ihr Portemonnaie aus der Handtasche, zog ihren Personalausweis heraus, stand auf, um ihn sich in die Hosentasche ihrer Jeans schieben zu können, und wischte dabei mit ihrer Jacke die Bordkarte vom Stuhl.

Er war schnell, hob sie vom Boden auf und gab sie ihr, noch bevor sie überhaupt etwas bemerkt hatte. »Hier, bitte. Die sollten Sie vielleicht besser nicht verlieren.« »Oh! Vielen Dank!« Sie wurde schon wieder rot. Es gefiel ihm. In diesem Moment änderte sich die Anzeige am Gate. »Florenz – verspätet«, stand da. »Voraussichtliche Abflugzeit 20:20«. Die junge Frau starrte fassungslos auf den Bildschirm. »Das darf nicht wahr sein«, murmelte sie leise. Er sah auf die Uhr. »Noch eineinviertel Stunden. Oh mein Gott! Hoffentlich fliegen wir heute Abend überhaupt noch.« Die Frau nickte. Er ließ ihr einen Moment. Dann sagte er: »Wir sollten was trinken gehen, um uns die Zeit zu vertreiben. Darf ich Sie zu einem Glas Champagner einladen?« Sie schien völlig überrascht. »Wie kommen Sie denn auf die Idee?« »Nur so.« Er zuckte die Achseln. »Wir haben eine elende Warterei vor uns … Gemeinsam vergeht die Zeit schneller, und ein Glas Schampus vertreibt die schlechte Laune.« Sie sah ihn ungläubig an. Dann huschte der Hauch eines Lächelns über ihr Gesicht. »Überredet. Das ist aber nett.« Sie saßen sich gegenüber und drehten ihre Champagnergläser in den Händen. »Wissen Sie, dass ich heute schon hundertmal daran gedacht hab, einfach abzuhauen und nicht mitzufliegen?«, begann sie das Gespräch.

Er lächelte. Natürlich wusste er das. Schließlich hatte er sie beobachtet. Aber das würde er ihr nicht auf die Nase binden. »Haben Sie Flugangst?«, fragte er mitfühlend. Sie nickte. »Ja. Ganz furchtbar. Und jetzt habe ich noch einmal die Gelegenheit zur Flucht. Einen Aufschub von einer knappen Stunde. Vielleicht ist es ein Wink des Schicksals?« »Dann müssen Sie jetzt aber ganz schnell austrinken, aufstehen und gehen. Und es wird ein Heidentheater geben, Ihr Gepäck wiederzubekommen. Und dann sitzen Sie heute Abend um elf zu Hause vor dem Fernseher, und die Welt ist in Ordnung. Es gab keinen Flugzeugabsturz, es ist nichts passiert. Und Sie ärgern sich schwarz, dass Sie gekniffen haben und nicht in Florenz sind.« »Glauben Sie? Es geht alles glatt?« »Aber natürlich.« Eine Weile schwiegen beide, sahen sich ab und zu an und lächelten. Dann fragte er, um den Gesprächsfaden wieder aufzunehmen: »Aber wenn Ihnen das Fliegen so einen Stress bereitet, was gibt es dann so Dringendes, dass Sie unbedingt nach Florenz wollen? Urlaub doch sicher nicht?« »Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Meine Mutter ist sehr krank, und mein Vater hat mich gebeten zu kommen.« »Ihre Eltern leben in Italien?« »Wir haben dort seit Menschengedenken ein Ferienhaus, und so zwei, drei Monate im Jahr sind meine Eltern dort.« »Das ist ja wunderbar.« »Sie wissen nicht, dass ich heute komme, damit meine Mutter nicht enttäuscht ist, wenn etwas schiefgeht. Oder ich es nicht schaffe und doch nicht fliege …« Sie lächelte gequält. »Heute fliegen Sie. Ich passe auf Sie auf. Es wird nichts geschehen. Das Wetter ist gut, wir haben kaum Wind, kein Gewitter, nicht mal Regen, was will man mehr.

Alles bestens. Wenn Sie heute nicht einsteigen, wann dann?« »Stimmt.« »Darf ich fragen, wie Sie heißen?« »Hannah. Und Sie?« »Daniel.« Es war nicht zu übersehen, dass Hannah ruhiger geworden war. Sie wirkte entspannt, ihre Hände zitterten nicht mehr, und ihre Haut hatte einen zarten pastellfarbenen Ton.

 

3

Hannah wunderte sich nicht schlecht, als Daniel seine Tasche direkt neben ihr auf den Sitz stellte. »Sie sitzen hier?« »Offensichtlich, ja!« Er sah noch einmal auf seine Bordkarte und zeigte sie ihr. »Das kann ich gar nicht glauben.« »Ich auch nicht«, meinte er, »aber wenn das kein Wink des Schicksals ist, dann weiß ich es auch nicht!« Er verstaute seine Sachen und setzte sich. »Was für ein Zufall!«, sagte sie. »So was glaubt einem ja keiner!« »Nee. Das Leben schreibt Geschichten, die man sich gar nicht ausdenken kann.« Vor Hannah und Daniel saßen drei Italienerinnen, um die vierzig Jahre alt, die sich lautstark unterhielten. Hannah konnte jedoch nicht verstehen, worüber. Ab und zu kreischte eine laut, dann gab es wieder schallendes Gelächter. Die Frau, die neben Hannah auf der anderen Seite des Ganges saß, gehörte offensichtlich auch zu der Gruppe und beugte sich quer über den Gang, um mit ihren Freundinnen reden zu können. Hannah und Daniel sahen sich an. Als sie begriffen, dass sie in diesem Moment dasselbe dachten und gleichermaßen von den vieren genervt waren, mussten sie grinsen.

»Da sehen Sie mal«, sagte Daniel leise in Hannahs Ohr, »es gibt Leute, die machen sich überhaupt keine Gedanken, ob das Flugzeug abstürzt oder nicht. Diese Menschen fliegen genauso sorglos, als wenn sie morgens zum Bäcker gehen und sich ein paar Brötchen kaufen. Das sollte Sie beruhigen.« Hannah nickte dankbar. Die Stewardess kam, bat die vier Frauen, jetzt sitzen zu bleiben und sich anzuschnallen, und führte ihr Sicherheitsballett vor. Daniel schaltete sein Smartphone in den Flugmodus. »Hoffentlich haben die auch alle ihre Handys ausgeschaltet«, flüsterte Hannah. »Keine Sorge. Heutzutage stürzt kein Flugzeug mehr wegen so was ab. Sonst würden die Flieger ja pausenlos vom Himmel fallen. Was glauben Sie, wie viele Leute ihre Geräte anlassen. Jede Menge, aber so genau wollen wir das gar nicht wissen.« Er lächelte. Kurz darauf rollte die Maschine auf die Startbahn, hielt noch einmal inne und beschleunigte dann. Daniel nahm Hannahs Hand. »Es ist alles gut«, sagte er leise. »Alles läuft nach Plan. Jetzt ganz ruhig einatmen – ausatmen – einatmen – ausatmen …« Und bei jedem »Einatmen« drückte er ihre Hand, bei jedem »Ausatmen« lockerte er den Griff wieder. Erst als hoch über den Wolken die Anschnallzeichen erloschen, hörte er damit auf. »War es schlimm?«, fragte er leise. »Nein, gar nicht. Sie haben mir sehr geholfen!« Erst jetzt ließ er ihre Hand los. Kurz darauf zog Daniel ein Buch aus seinem Handgepäck.

Florenz: Die Maler der Renaissance. Er blätterte darin herum, las aber nicht. Daher wagte Hannah, ihn zu stören. »Entschuldigen Sie, aber was machen Sie denn in Italien? Sind Sie an einer deutschen Schule? Unterrichten Sie?« Daniel schloss das Buch, legte den Kopf in den Nacken und lachte leise. »Nein. Ich bin nur kunstgeschichtlich sehr interessiert, und da hat man ja in Florenz und Umgebung wirklich die besten Voraussetzungen. Kunst und Kultur in Hülle und Fülle. Nein, es ist ganz banal. Ich besitze in der Toskana einen kleinen Palazzo und vermiete Ferienappartements an wahrscheinlich ebenso kunstinteressierte Urlauber.« »Fantastisch! Sie haben wirklich einen Palazzo?« »Nun ja.« Er wand sich, was bescheiden wirken sollte. »Das ist ja in der Toskana nahe Florenz nicht so ganz außergewöhnlich.« Er wechselte das Thema. »Und was machen Sie beruflich, wenn ich fragen darf?« »Ich bin Lehrerin. Habe gerade Herbstferien.« »Oh! Was für ein schöner Beruf! Kommen Sie, wir trinken noch ein Gläschen. Sie werden sehen, es hilft dabei zu vergessen, dass wir in einem Flugzeug sitzen.« Er klingelte nach der Stewardess. »Diesmal für mich aber etwas Alkoholfreies, bitte!«, sagte sie. Als sie die Gläser in der Hand hielten, fragte Daniel: »Worauf trinken wir? Auf eine schöne Zeit in der Toskana?« Hannah nickte. Sie stießen an, nahmen einen Schluck, und Hannah vergaß ihre Flugangst. Stattdessen dachte sie an ihre Mutter, ihren Vater und an die SMS, die sie vor einigen Tagen bekommen hatte. Sie hatte sie so oft gelesen, dass sie sie auswendig kannte:

Hannah, hatte ihr Vater geschrieben, deiner Mutter geht es sehr schlecht. Ich habe Angst um ihr Leben. Sie hat versucht, sich umzubringen. Du bist wahrscheinlich die Einzige, die ihr noch helfen kann. Bitte, komm! So schnell wie möglich. Dein Vater Am Abend hatte sie Heiko die SMS vorgelesen. Er hatte mit unbeweglicher Miene zugehört und sie auch nicht angesehen, als er fragte: »Ich nehme an, du willst hinfliegen?« »Ich weiß es nicht, ich überlege noch, aber ich denke schon«, antwortete Hannah vorsichtig. Heiko schwieg. Dann wandte er sich ihr zu und strich ihr übers Haar. »Schatz, du bist schwanger. Du solltest nicht fliegen!« »Mach dir keine Sorgen. Ich hab beim Arzt angerufen. Er hat gesagt, in diesem Stadium ist es kein Problem. Im neunten Monat sollte man es lieber bleiben lassen, aber jetzt Ende dritter, Anfang vierter Monat muss man sich keine Gedanken machen.« »Wir freuen uns so sehr auf das Kind, bitte, du solltest wirklich alles vermeiden, was auch nur im Entferntesten nicht gut für das Würmchen sein könnte.« »Ich hab es dir doch gerade gesagt: Es ist echt kein Problem!« Heiko raufte sich die Haare. »Hannah, deine Mutter ist seit Monaten krank, ach was, seit Jahren. Sie ist depressiv, schizophren, was weiß ich. Kein Mensch weiß, warum und wieso und wann genau es angefangen hat. Wir leben damit. Du und ich und dein Vater. Wir ertragen es, dass sie ständig weint, tagelang im Bett liegt, nichts isst, mit niemandem spricht oder stundenlang durch den Wald irrt. Das ist alles nichts Neues. Und jetzt ist sie in Italien. Die Toskana hat ihr eigentlich immer ganz gutgetan. Aber diesmal eben nicht. Und da willst du gleich hinfliegen? Bitte!«

»Sie hat versucht, sich umzubringen, Heiko!« »Ja. Aber das war sicher nur ein Hilfeschrei. Sonst hätte es ja geklappt. Und dein Vater ist bei ihr. Was willst du machen? Tagelang an ihrem Bett sitzen, Händchen halten und auf den nächsten Versuch warten? Der vielleicht nie kommt? Das ist Blödsinn, Hannah. Die Krankheit, die deine Mutter hat, kannst du nicht heilen, indem du zwei Tage an ihrem Bett sitzt oder ihr draußen Blümchen pflückst und sie ihr ins Zimmer stellst. Vergiss es!« »Ich hab das Gefühl, sie braucht mich. Und Papa meint das auch. Normalerweise schreibt er so etwas nicht. Da muss es schon ernst sein.« Er rang die Hände. »Ich brauche dich auch, Hannah. In drei Wochen beginnt das Staatsexamen. Ich muss noch lernen ohne Ende. Habe einen Berg von Arbeit vor mir und die Hosen gestrichen voll. Hab in meinem Leben noch nie so viel Schiss gehabt, Hannah. Bitte, hau jetzt nicht ab! Lass mich nicht allein! Ich kann mich nicht auch noch um den Haushalt kümmern. Verstehst du das nicht? Es tut mir einfach gut, wenn du abends da bist, mir ein Spiegelei in die Pfanne haust und mich in den Arm nimmst. Ich pack das sonst nicht allein!« »Aber was ist, wenn meiner Mutter was passiert? Das ist endgültig. Ein Staatsexamen kann man wiederholen.« »Wiederholen?«, schrie Heiko fassungslos. »Weil meine schwangere Frau zu ihrer depressiven Mutter fliegt, muss ich nicht nur vor Angst um sie umkommen, sondern auch noch mein Staatsexamen wiederholen?« Hannah wusste, dass der Streit jetzt bald eskalieren würde, aber sie sagte dennoch: »Ach so. Und weil mein gesunder, intelligenter Mann sich allein kein Spiegelei in die Pfanne hauen kann, darf ich nicht zu meiner schwerkranken Mutter und muss mein Leben lang darunter leiden, wenn sie stirbt und ich nicht da gewesen bin?

Ich hab meinem Mann das Frühstück gemacht, bevor er in die Uni gegangen ist! Währenddessen ist meine Mutter einsam gestorben. Und ich hab mich nicht von ihr verabschieden können? Meinst du das im Ernst?« Heiko überlegte einen Moment. Dann sagte er: »Meinetwegen, flieg zu deiner Mutter. Damit setzt du die Priorität. Und damit ziehen wir nicht mehr an einem Strang. Ich bin allein auf mich gestellt. Ich habe keine Frau, die in Krisenzeiten – und ein Examen ist eine Krisenzeit – zu mir hält. Falls du es schon vergessen haben solltest: Als du im Prüfungsstress warst, hab ich alles für dich getan, hab dir rund um die Uhr den Rücken freigehalten, hab dich auf Händen getragen. Und du lässt mich jetzt hängen!« »Aber das kannst du doch nicht vergleichen, Heiko!« Hannah war den Tränen nahe. »Doch, das kann ich!« Hannah zuckte hilflos die Achseln. »Ich dachte außerdem, du hast schreckliche Flugangst?«, setzte Heiko nach. »Seit Jahren findest du tausend Gründe, warum wir nicht fliegen sollten, und nun steigt die Lady plötzlich ohne Probleme in ein Flugzeug? Und dann auch noch mit Babybauch? Das versteh ich nicht!« »Es fällt mir verdammt noch mal auch nicht leicht!« »Na also. Dann würde ich an deiner Stelle eben nicht fliegen.« »Ich habe dir schon gesagt, dass ich mich noch nicht entschieden habe! Ich wollte mit dir in aller Ruhe darüber reden, aber das geht anscheinend nicht. Jedenfalls will ich mir keine Vorwürfe anhören, wenn ich deinen Rat brauche!« »Ich glaube, es gibt nichts mehr dazu zu sagen.« »Du verstehst mich nicht.«

»Kann sein. Keine Ahnung.« Es war unerträglich still im Zimmer. Dann brach er als Erster das Schweigen. »Flieg nicht«, murmelte er, »bitte. Schreib zurück, dass du keine Zeit hast.« »Mein Vater weiß, dass ich Ferien habe.« »Dann schreib, dass du krank bist. Dich nicht wohlfühlst. Oder sag ihnen, dass du schwanger bist und deswegen nicht fliegen kannst.« »Nein. Das soll eine Überraschung sein.« »Na gut. Ganz egal. Schreib irgendwas. Denn ich würde es nicht einsehen, wenn du fährst. Und wenn du es tust, kriegen wir beide ein riesiges Problem.« »Warum setzt du mich so unter Druck, Heiko?«, rief Hannah und wollte ihn in den Arm nehmen, aber er stieß sie zurück. »Was soll ich denn bloß machen? Ich sitze zwischen allen Stühlen, und du machst es mir jetzt noch schwerer.« Heiko tippte sich an die Stirn. »Deine Mutter ist nur hysterisch. Sie droht doch ständig, sich umzubringen, und schikaniert damit ihre gesamte Familie. Alle opfern sich auf, und dann wird sie wahrscheinlich neunzig.« »Und das ist eben genau das, was du nicht begreifst!« Jetzt wurde auch Hannah lauter. »Vielleicht muss ich sie nur einmal in den Arm nehmen. Vielleicht reicht das schon. Und dabei bricht mir kein Zacken aus der Krone.« Heiko ließ sich in einen Sessel fallen. »Sag mal, wie naiv bist du denn?« Er sah sie an, und Hannah hielt seinem Blick stand. »Gut! Bitte! Dann flieg! Fall deiner Mutter um den Hals, und dann heult ihr zwei Tage, und alles ist wieder gut. Und dann backt sie uns zu Weihnachten einen Stollen und strickt dir Wollsocken. Ach wie schön! Gut, dann fahr! Aber ich weiß nicht, ob ich noch hier bin, wenn du wiederkommst.« Hannah brach in Tränen aus.

Heiko ging hinaus, und Hannah hörte, wie er die Tür seines Arbeitszimmers zuknallte.

 Hannah hatte einen Flug gebucht. Sie redeten kaum noch miteinander, nur über das Allernötigste. So ein Schweigen hatte es während ihrer langjährigen Beziehung noch nie gegeben. Hannah war todunglücklich. Fürchtete sich vor dem Abschied und gleichzeitig davor, dass es gar keinen Abschied geben würde. Aber ihre Sorge war unbegründet. Heiko brachte sie zum Flughafen, blieb aber im Auto und kam nicht mit in den Terminal. »Also dann, tschüss«, sagte sie, und in ihren Augen schwammen Tränen. »Bitte, sei mir nicht böse, bitte! Es geht nicht gegen dich, aber ich muss da hin. Kannst du das nicht verstehen?« »Ich möchte nicht mehr darüber reden.« »Gibst du mir noch einen Kuss zum Abschied?« Heiko küsste sie. Sie umarmte ihn, klammerte sich an ihn und weinte. »Pass auf dich auf!«, sagte er, als sie ausstieg. Dann fuhr er davon. Sie winkte ihm hinterher, wusste aber nicht, ob er es im Rückspiegel überhaupt gesehen hatte. Als der Flieger zur Landung ansetzte, nahm Daniel wieder ihre Hand. »Beim Start ist alles gut gegangen«, sagte er leise, »dann wird auch jetzt alles gut gehen. Das Wetter ist immer noch super, wir werden in Florenz die sanfteste Landung seit Menschengedenken haben.«

Dieser Mann tat ihr ungeheuer gut. Hannah schätzte ihn auf etwa fünfzig, er war also ungefähr zwanzig Jahre älter als sie. Aber er strahlte eine solche Ruhe und Gelassenheit aus, dass sie sich augenblicklich geborgen fühlte. Obwohl es ja Blödsinn war. Wenn das Flugzeug abstürzte, stürzte es ab. Ob er nun neben ihr saß oder nicht. Es war längst dunkel, und Hannah sah tief unter sich die funkelnden Lichter der Stadt, als die Maschine noch eine Schleife über Florenz drehte. Eigentlich kann Fliegen auch schön sein, dachte sie, genieß den Moment, es wird eine perfekte Landung geben. Plötzlich sackte das Flugzeug ab. Hannah schrie. Schon im nächsten Moment setzte die Maschine hart auf, schwankte, rüttelte, quietschte und machte eine Vollbremsung. »Oh mein Gott!«, seufzte Hannah voller Entsetzen, und Daniel drückte ihre Hand. »Das war ganz normal, besser geht es hier in Florenz nicht. Die Landebahn ist ein bisschen kurz, daher sind die Landungen immer molto sportivo, aber die Piloten wissen das. Es ist eine Herausforderung für sie, und das ist gut so, denn dann passen sie auf.« Einen kurzen Augenblick ließ sich Hannah an Daniels Schulter sinken und schloss die Augen. Als das Flugzeug zum Stehen gekommen war, löste sich Hannah von ihm und atmete tief durch. Geschafft. Sie lebte noch.

Es dauerte ewig. Bestimmt eine Viertelstunde, bis die Türen geöffnet wurden. Hannah fühlte sich eingesperrt und beengt. Die Italienerinnen vor ihnen machten pausenlos Fotos, Filme und Selfies, Daniel drehte sich weg. Einmal, als Hannah spürte, dass sie unweigerlich mit auf dem Film war, lächelte sie.

»Sprechen Sie Italienisch?«, fragte Daniel, der versuchte, diese unerträgliche Frauengruppe zu ignorieren. »Nein. Kaum. Also nur das Allernötigste.« Daniel nickte. »Wo wohnen denn Ihre Eltern, wenn ich fragen darf?« »In Civitella. Das ist in der Nähe von Ambra. Kennen Sie das?« Daniel nickte. »Ja, ich glaube, ich war vor einer Weile mal dort in der Nähe. Und wie wollen Sie da hinkommen? Für ein Taxi ist es zu weit.« »Ich dachte, ich nehme mir hier einen Mietwagen.« Daniel riss überrascht die Augen auf. »Oh! Aber es ist schon bald elf!« Hannah nickte. »Ich bezweifle, dass Sie hier um diese Zeit überhaupt noch einen Mietwagen bekommen. Und selbst wenn: Abholen können Sie ihn nur auf einem großen Parkplatz im Zentrum, wohin ein Shuttlebus Sie karrt. Von dort müssten Sie dann selbst sehen, wie Sie aus Florenz herausfinden. Um diese Zeit ist im Zentrum immer noch ein Wahnsinnsverkehr. Und dann im Dunkeln mit einem nur Italienisch sprechenden Navi ist das alles kein Vergnügen.« »Oh mein Gott, im Ernst?« Daniel nickte. »Es ist desolat. Eine absolute Zumutung.« Hannah seufzte. Daniel sah aus, als würde er überlegen. Dann sagte er sehr leise: »Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Es ist wirklich nur ein Vorschlag. Sie können ihn ohne Probleme ablehnen. Aber warum kommen Sie nicht mit zu uns? Mein Auto parkt hier auf dem Flughafenparkplatz. Ich lade Sie zu einem wunderschönen Abendessen ein. Oder besser: zu einem kleinen Nachtmahl! Meine Frau liebt Gäste und wird sich sicher freuen.

Und dann übernachten Sie bei uns, wir haben sicher noch irgendwas frei. Für eine Nacht auf alle Fälle. Und morgen früh fahren Sie ganz in Ruhe zu Ihren Eltern.« Hannah überlegte. Das klang alles mehr als verlockend. »Civitella ist nicht weit von uns«, fuhr Daniel fort. »Eine gute halbe Stunde vielleicht. Da bringe ich Sie morgen Vormittag mit meinem Wagen direkt hin.« »Das kann ich alles nicht annehmen«, sagte sie leise. »Machen Sie mich nicht böse«, erwiderte Daniel freundlich lächelnd, »sonst stelle ich Ihnen das Abendessen und die Übernachtung in Rechnung. – Nein, das war nur ein Scherz, ich lade Sie wirklich herzlich ein!« »Okay!«, sagte Hannah nach einer kurzen Pause. »Das ist wahnsinnig nett von Ihnen. Ich nehme Ihr Angebot gern an, denn es ist schließlich auch egal, ob ich heute spät nachts oder morgen Vormittag bei meinen Eltern bin. Sie erwarten mich ja nicht.« »Das meine ich doch auch.« Noch immer konnten die Passagiere das Flugzeug nicht verlassen, und Daniel schaltete sein Handy an und wählte. »Ja, Octavia, ich bin’s. Du, ich bringe einen Gast mit. Eine nette junge Frau, die Probleme hat, hier von Florenz aus um diese Zeit weiterzukommen. Sie bleibt heute zum Abendessen und für eine Nacht. Va bene? – Prima! – Das ist lieb. – Ich schätze, wir sind in anderthalb Stunden da.« Er sah auf die Uhr. »Wir sind leider sehr spät. Aber egal. Bis dann! Danke!« Er drehte sich zu Hannah um. »Meine Frau freut sich«, sagte er............

 

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