Eine Bittere Wahrheit

 

Sie ist keine Mörderin. Oder doch? Der neue Thriller des Bestsellerduos Nicci French: intelligent konstruiert und absolut süchtigmachend!

 Erst seit Kurzem lebt Tabitha wieder im Ort ihrer Kindheit, einem idyllischen Dorf an der englischen Küste. Doch der Wunsch, dort Ruhe zu finden, verwandelt sich in einen Alptraum, als sie des Mordes an ihrem Nachbarn beschuldigt wird. Alle Indizien sprechen gegen sie. Und sie kann sich nicht erinnern, was an jenem 21. Dezember geschehen ist, als im Schuppen hinter ihrem Haus die schlimm zugerichtete Leiche gefunden wurde. Nun sitzt sie in Untersuchungshaft und wartet auf ihren Prozess. Ihre Anwältin rät ihr, sich schuldig zu bekennen. Doch Tabitha spürt, dass sie nicht die Mörderin ist. Und nur sie selbst kann das beweisen.

 

Das Buch ist mal etwas anderes als erwartet den es ist viel in Gedanken von Tabitha geschrieben und es ist auch viel vor Gericht und dem Alltag im Gefängnis. Was ich aber wirklich ganz gut finde. Es ist mal was anderes.

Das Buch ist in Vier Teile unterteilt, Drinnen, Anklage, Verteidigung und Draußen.

Auch ist die Neugierde da den war Tabitha nun die Mörderin oder war sie es nicht und warum kann sie sich an nix erinnern.

Nach dem Tot ihrer Mutter beschließt Tabitha zurück in Ihr Elternhaus zu ziehen und das alte Haus ihrer Mutter zu renovieren. Tabitha hat keine gute Erinnerung an den Ort wo sie Aufgewachsen ist. 

Der Neustart endet aber in einer Katastrophe und die Vergangenheit holt sie ein.

Tabitha wird in ihrer Wohnung Blutüberströmt gefunden und im Schuppen nebenan wird dann auch noch die Leiche ihres Nachbarn gefunden der dann auch noch damals ihr Lehrer war.

Für alle ist es klar Tabitha ist die Mörderin den als sie gerade 15 Jahre alt war hat der Lehrer ihr mehrfach sexuelle Gewahlt angetan und hat sie in Depressionen getrieben. Der Tote war der Grund das sie diesen Ort damals verlassen hat.

Tabitha kann sich an nichts Erinnern was passiert ist.

Tabitha wird verhaftet und ihre Anwältin gibt ihr den Rat sie soll sich Schuldig bekennen, doch Tabitha will selber rausfinden was passiert ist und entschließt sich vor Gericht selber zu verteidigen und beginnt aus dem Gefängnis raus die Wahrheit rauszufinden.

Es ist schön zu lesen wie stark Tabitha ist auch wen sie anfängt an sich selbst zu zweifeln aber dann doch wieder den dreh bekommt stark zu bleiben.

Es ist Spannend geschrieben aber man darf nun nicht genauer darüber Nachdenken.

Ich liebe Krimis und auch die berühmten Serien wo es vor Gericht geht und klar weiß man auch das mit dem was gegen Tabitha nun vorlag wäre sie nie vor Gericht gekommen. Aber das sei nun mal dahin gestellt.

Leseprobe

ERSTER TEIL 

Drinnen

Das Geschrei begann um drei Uhr morgens. Tabitha hatte noch nie ein menschliches Wesen auf eine solche Weise schreien hören. Es klang wie das Kreischen eines Tiers, das gerade in eine Falle geraten war. Als Reaktion kamen Rufe, weit entfernt, wie ein Echo. Das Geschrei schwächte sich zu einem Schluchzen ab, doch selbst das wurde durch das Metall verstärkt, durch die Treppen und Böden. Tabitha empfand es wie ein Echo in ihrem Kopf. Sie spürte eine Bewegung auf der Pritsche über sich. Offenbar war die andere Frau wach. »Da ist jemand in Schwierigkeiten.« Schweigen. Tabitha fragte sich, ob die Frau sie bloß ignorierte oder tatsächlich schlief, doch dann kam eine Stimme aus der Dunkelheit, langsam und bedächtig, als spräche die Frau mit sich selbst. Es war eine tiefe, raue Stimme, die Morgenstimme einer Raucherin. »Alle stecken in Schwierigkeiten«, sagte sie. »Deswegen sind sie hier. Deswegen weinen sie, wenn sie an ihre Kinder denken oder an das, was sie getan haben – oder daran, was sie ihren Kindern angetan haben. Wenn es hier wirklich Probleme gibt, hört man kein Geschrei. Dann hört man nur Getrampel auf den Gängen. Wenn es richtig schlimm ist, landet draußen auf dem Feld ein Hubschrauber. Das ist schon drei-, viermal passiert, seit ich hier bin.« »Was bedeutet das dann?«, fragte Tabitha. »Was glaubst du?« Tabitha versuchte, nicht darüber nachzudenken, was eine Hubschrauberlandung mitten in der Nacht wohl zu bedeuten hatte. Sie versuchte, jeden Gedanken auszublenden, während sie so dalag, doch es gelang ihr nicht.

Den Blick auf die Pritsche über sich gerichtet, die Schluchzer und Rufe noch im Ohr, hörte sie erneut jemanden schreien. Schlagartig schnitt eine Erkenntnis mit absoluter Klarheit durch den Nebel in ihrem Kopf: Das hier war real. Bisher hatte sich alles so seltsam angefühlt, so ganz und gar außerhalb ihrer Erfahrung, dass es ihr vorgekommen war wie ein schräges Märchen über eine andere Frau, die ins Gefängnis musste, eine Person, über die sie etwas las oder einen Film sah, obwohl sie es in Wirklichkeit selbst erlebte. Daran hatte sich auch nichts geändert, als sie in dem winzigen, fensterlosen Abteil des Transporters saß, der sie vom Gericht herbrachte; als sie ihre Kleidung auszog, sich auf den Boden kauerte, angestarrt und untersucht wurde und eine Frau über ihre kleinen Brüste und haarigen Achseln lachen hörte; als sie hinterher unter der Dusche stand. Ausgestattet mit Bettzeug, einer kratzigen blauen Decke und einem dünnen Handtuch war sie durch eine Tür nach der anderen eskortiert worden. Die Türen bestanden tatsächlich aus schwerem Metall. Sie fielen tatsächlich laut ins Schloss. Die Aufseher und Aufseherinnen trugen tatsächlich riesige Schlüsselbunde, die mit einer Kette an ihrem Gürtel befestigt waren. Das Gefängnis war genauso, wie man sich ein Gefängnis vorstellte. Als man sie am Vortag durch den großen Mittelgang geführt hatte, der zu beiden Seiten und auch im Stockwerk darüber von Zellen gesäumt war, hatte sie das Gefühl gehabt, von mehreren Frauengruppen angestarrt zu werden. Am liebsten hätte sie ihnen zugerufen: Das ist nicht real! Ich bin keine von euch, ich gehöre nicht hierher! Nun lag sie auf ihrer Pritsche und versuchte, sich das Ganze nicht ins Gedächtnis zu rufen, es nicht vor ihrem geistigen Auge Revue passieren zu lassen.

Doch selbst das war besser, als daran zu denken, wo sie sich gerade befand: in diesem Moment, in diesem Raum. Tabitha hatte Aufzüge noch nie gemocht. Was, wenn sie abstürzten? Was, wenn sie stecken blieben? Deswegen nahm sie immer die Treppe. In London fuhr sie nur höchst ungern mit der U-Bahn. Einmal hatte sie während der Rushhour in einem Zug gestanden, eingepfercht zwischen den heißen Leibern der anderen Fahrgäste, als die Bahn plötzlich mitten im Tunnel hielt. Es folgte eine genuschelte Ansage, deren Inhalt sie nicht verstand. Der Zug blieb etliche Minuten stehen. Es war Sommer und die Hitze erdrückend. Tabitha bekam allmählich Beklemmungen, sie musste an die dicke Lehm- und Ziegelschicht zwischen ihr und der Oberfläche denken. Sie stellte sich auch den Zug vor, in dessen Mitte sie feststeckte, Waggon für Waggon, vollgestopft mit Menschen, vor ihr und hinter hier, bis sie den Drang, sich schreiend nach draußen zu kämpfen, kaum noch unterdrücken konnte. Jetzt befand sie sich in einer Zelle, die vier Schritte lang und drei Schritte breit war. Ein winziges, verriegeltes Fenster ging hinaus auf einen Hof, begrenzt durch eine von Stacheldraht gekrönte Mauer, hinter der man gerade noch die dunstigen Hügel in der Ferne ausmachen konnte. Am Vortag hatte sie einen Blick aus diesem Fenster geworfen und gemeint, auf einem der Hügel eine kleine Gestalt zu erkennen, eine Person, die dort wanderte – dort draußen, in Freiheit. Mittlerweile jedoch war es dunkel und draußen nichts mehr zu sehen als die Scheinwerfer, die den Hof beleuchteten. Die Zellentür blieb bis in den Vormittag hinein abgeschlossen. Wenn sie darüber nachdachte, bekam sie das Gefühl, lebendig begraben zu sein, und hätte am liebsten laut um Hilfe gerufen. Vielleicht war das auch der Grund, warum die Frau so geschrien hatte. Wenn Tabitha schon nicht schreien konnte, dann konnte sie wenigstens weinen.

Doch sie wusste, wenn sie weinte, würde sie nicht mehr aufhören können. Außerdem war es wahrscheinlich nicht gut, wenn man sie weinen sah. Sie fand es in der Zelle sehr kalt und die einzelne Decke nicht ausreichend. Um sich zu wärmen, zog sie die Knie fast bis zur Brust und schlang in der Dunkelheit die Arme um sich selbst. Dabei stellte sie fest, dass sie bereits anders roch: nach Gefängnisseife, nach fettigem Haar, das dringend gewaschen gehörte, und irgendwie leicht modrig. Sie schloss die Augen, dachte ans Meer, an Wellen, die sich auftürmten, brachen und dann gegen das felsige Ufer klatschten. Gedanken kamen in langen, dunklen Wirbeln. Sie versuchte, sie wegzuschieben. Wieder ertönte irgendwo ein Schrei. Jemand schlug gegen eine weit entfernte Tür. Obwohl es ihr unmöglich erschien, musste sie ein wenig geschlafen haben, denn sie wachte auf, als die Frau von der oberen Pritsche glitt. Es fühlte sich an, als nähme das sehr viel Zeit in Anspruch. Erst tauchten die Füße auf, lang und schmal, mit dunkelrot lackierten Nägeln und einer tätowierten Spinne am rechten Knöchel. Dann folgten die Beine, die in ihrer grauen Jogginghose kein Ende zu nehmen schienen, dann ein schwarzes, hochgerutschtes T-Shirt, unter dem ein Nabelring hervorblitzte, schließlich ein glattes, ovales Gesicht mit großen Kreolen in den Ohrläppchen, umrahmt von langem, dichtem Haar mit Pony. Sie war sehr groß, etwa eins fünfundachtzig, und machte einen kräftigen Eindruck. Tabitha schätzte sie auf Ende zwanzig, obwohl das schwer zu sagen war. Am Vorabend hatte sie die Frau gar nicht richtig wahrgenommen, sondern sich sofort die Decke über den Kopf gezogen, nachdem sie ins Bett gekrochen war. »Hallo«, sagte sie jetzt. Ohne ihr eine Antwort zu geben, durchquerte die Frau die Zelle und zog den kleinen Vorhang auf.

 

Das war noch so eine Sache. Die Zelle war eigentlich nur für eine Person gedacht. Nun befanden sich darin ein Stockbett, zwei Stühle, zwei schmale Tische, zwei winzige Kommoden und eine Toilette mit einem Waschbecken daneben, abgeschirmt durch einen kleinen Vorhang. Die Frau zog sich die Hose herunter und setzte sich auf die Schüssel. Sie wirkte dabei ganz gelassen, als wäre sie allein. Tabitha drehte das Gesicht zur Wand und wickelte sich bis über die Ohren in die Decke, um nichts hören zu müssen. Die Spülung wurde betätigt, ein Wasserhahn aufgedreht. Tabitha wartete, bis die Frau fertig war, dann stieg sie ihrerseits aus dem Bett, um sich unter den Achseln zu waschen und Wasser ins Gesicht zu klatschen. Anschließend schlüpfte sie in eine Leinenhose, ein T-Shirt und ein Sweatshirt und zog ihre Sportschuhe unter dem Bett heraus. »Ich bin Tabitha«, stellte sie sich vor. Die Frau bürstete sich gerade energisch die Haare. Sie blickte auf Tabitha herab. Sie muss fast dreißig Zentimeter größer sein als ich, dachte Tabitha. »Das hast du mir gestern Abend schon gesagt.« Es folgte eine Pause. »Wie heißt du?«, fragte Tabitha. »Michaela. Das habe ich dir auch schon gesagt.« Es klapperte an der Tür. Sie wurde entriegelt und nach innen aufgeschoben. Eine sehnige, farblose Frau stand neben einem Rollwagen mit zwei urnenförmigen Stahlgefäßen darauf. »Tee«, sagte Michaela. »Tee«, wiederholte Tabitha. Die Frau füllte zwei Becher und reichte sie ihnen. Tabithas Frühstückspäckchen lag auf dem Tisch. Sie öffnete es und nahm den Inhalt heraus: eine Plastikschüssel, einen Plastiklöffel, eine Minitüte Reiscrispies, einen kleinen Karton H-Milch, zwei in Plastikfolie gehüllte Scheiben braunes Brot, in Alu verpackte Butter, ein kleines Schälchen Himbeermarmelade.

Messer gab es keines, deswegen verteilte sie die Butter und die Marmelade mit dem Stiel ihres Löffels auf dem Brot. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie das letzte Mal etwas gegessen hatte, und verspeiste die Sandwiches in schnellen Bissen. Das Brot war trocken, aber sie spülte es mit ein paar Schlucken Tee hinunter. Dann kippte sie die Zerealien in die Schüssel und goss die Milch darüber. Letztere war warm und hatte einen leicht säuerlichen Beigeschmack, der Tabitha fast würgen ließ. Trotzdem aß sie alles auf. Als sie fertig war, hielt sie sogar die Schüssel schräg, um den letzten Rest Milch zu trinken. Immer noch hungrig, begab sie sich auf die Toilette hinter dem Vorhang. Sie kam sich vor wie ein Tier. Während sie da so saß, die Hose um die Fußknöchel, hatte sie das Gefühl, als würde rundherum Blitzlicht flackern und es in ihren Ohren klingeln. Plötzlich hatte sie das Bedürfnis, das Gesicht gegen die Wand zu knallen, nicht nur einmal, sondern immer wieder. Vielleicht würde ihr das Erleichterung verschaffen – dem Ganzen womöglich sogar ein Ende setzen. Stattdessen wischte sie sich ab, zog die Hose hoch, wusch sich die Hände und setzte sich wieder aufs Bett, den Rücken an die Wand gestützt. Sie hatte nichts zu lesen und auch sonst nichts zu tun. Der Tag lag formlos und schier endlos vor ihr. Andererseits, hätte sie dort gesessen und gelesen, dann hätte es sich womöglich so angefühlt, als wäre das jetzt ihr Leben und nicht nur ein albtraumhafter Irrtum – ein Irrtum, der korrigiert werden würde, sobald allen klar war, dass sie nicht hierher gehörte, und man sie wieder gehen ließ. Michaela stand inzwischen über das Waschbecken gebeugt, damit beschäftigt, sich die Zähne zu putzen. Sie nahm sich dafür viel Zeit. Zum Schluss spuckte sie ins Becken, beugte sich tiefer und trank gleich aus dem Hahn. Dann richtete sich auf, legte den Kopf in den Nacken und gurgelte lautstark.

Tabitha war das alles viel zu viel: die Geräusche, die Gerüche, die körperliche Nähe der anderen Frau. Michaela band ihr Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen und verließ die Zelle. Ein paar Augenblicke später kam sie wieder herein, stützte sich auf den Tisch und blickte auf Tabitha hinunter. »Sitz nicht bloß herum.« Tabitha gab ihr keine Antwort. Dazu fehlte ihr die Kraft. »Damit machst du es nur schlimmer. Ich weiß das aus eigener Erfahrung, schließlich bin ich schon seit vierzehn Monaten hier.« »Was hast du getan?« Michaela starrte sie mit ausdrucksloser Miene an. »Haben sie dir den Wisch mit dem ganzen Scheiß über Sport und Duschen und die Öffnungszeiten der Bibliothek gegeben?« »Ja, der muss hier irgendwo sein«, antwortete Tabitha, »aber das interessiert mich alles nicht. In meinem Fall handelt es sich nur um einen Irrtum.« »Ach ja? Glaub bloß nicht, dass du dich einfach hier drin verstecken kannst und damit durchkommst, ohne dass es jemand merkt. Es ist wie auf dem Schulhof: Das kleine Mädchen, das in der Ecke steht, weil es in Ruhe gelassen werden will, ist genau das Kind, das sich die anderen herauspicken. Du musst aufstehen. Du musst aufstehen und duschen.« »Mir ist nicht danach. Nicht heute.« Michaela griff unter den kleinen Tisch, der für Tabitha reserviert war. »Hier.« Sie warf Tabitha das Handtuch zu, das man ihr bei ihrer Ankunft gegeben hatte. »Du nimmst jetzt das Handtuch und die Seife und gehst duschen!« Mit diesen Worten verließ sie die Zelle, ohne die Tür hinter sich zuzuziehen. Tabitha rappelte sich hoch. Sie fror bis auf die Knochen. Erneut warf sie einen Blick durch das kleine vergittere Fenster.

Der Himmel wirkte inzwischen fast weiß. Vielleicht schneit es bald, dachte sie. Das wäre doch was: ein dichter Wirbel aus fedrigen Flocken, nur wenige Zentimeter von dort entfernt, wo sie gerade stand, und alles verhüllt von einer Decke der Fremdheit. Sie griff nach dem Handtuch, nahm die Seife von der Ablage des Waschbeckens und trat hinaus in den Mittelgang, durch den eine Vielzahl von Geräuschen hallte: Schritte, das Schlagen von Türen, laute Stimmen, Gelächter, Husten, das Klatschen eines Wischmopps. Eine sehr dünne Frau mit langem grauem Haar und einem Gesicht voller Falten humpelte auf sie zu. Sie trug ein dickes braunes Kleid, das ihr bis zu den Schienbeinen reichte. Ihre Hände waren von Arthritis geschwollen. Sie hielt einen Stapel Papiere an die Brust gedrückt. »Du bist auch hier«, sagte sie lächelnd. »Ja, ich bin auch hier«, antwortete Tabitha. Sie ging bis ans Ende des Gangs und bog in den kleinen Flügel ein, in dem sich die Duschen befanden, eine lange Reihe von Kabinen. An der hinteren Wand waren über einer Holzbank Kleiderhaken angebracht. Dort zogen sich gerade mehrere Frauen an und aus. Der Fliesenboden glänzte feucht, und es roch nach Seife, Schweiß und menschlichen Körpern. Schlagartig fühlte sich Tabitha an die Umkleideräume ihrer Schulzeit erinnert, jenen beißenden Geruch, der einem fast schmerzhaft in die Nase stach. Langsam streifte sie ihre Sachen ab, wobei sie den Blick auf die Wand gerichtet hielt, um ja niemandes Blick aufzufangen. Ehe sie ihren Slip auszog, wickelte sie sich in das dünne, alte Handtuch, wie ein scheuer Teenager am Strand, und ließ ihn dann nach unten gleiten. Sie trat in eine freie Kabine, zog den Vorhang zu und hängte das Handtuch an einen Haken. Als sie den Hahn aufdrehte, tröpfelte nur ganz wenig Wasser aus dem Duschkopf. Vergeblich versuchte sie, den Hahn weiter aufzudrehen.

»Man muss dagegen schlagen«, informierte sie eine Stimme. »Gegen das Rohr.« Sie klopfte dagegen. Nichts passierte. »Fester«, sagte die Stimme. »Richtig fest!« Tabitha ballte die Hand zur Faust und schlug gegen das Rohr. In der Leitung gurgelte und hustete es ein wenig, dann verstärkte sich das Tröpfeln zu einem schwachen Rinnsal, das gerade mal ausreichte, um sich richtig nass zu machen, aber nichts Wohltuendes hatte, nichts, worin sie sich verlieren konnte – nichts Tröstliches.

 

 

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