21 Tage
Jahrelang wähnte Louisa sich in Sicherheit. Die Erinnerung an das dunkelste Kapitel ihrer Vergangenheit war beinahe verblasst. Doch dann erhält sie eine verstörende Mail. Im Betreff ein Countdown: »Noch 21 Tage«. Der Inhalt, eine Horrorgeschichte. Sie beschreibt Louisas eigenen Tod. Eine dumpfe Beklommenheit ergreift von ihr Besitz. Plötzlich fühlt Louisa sich beobachtet, verfolgt, kämpft gegen ihre wachsende Angst. Und dann lässt eine weitere Mail keinen Zweifel mehr zu: Jemand will mit ihr abrechnen, jemand, der ihr Geheimnis kennt. Der Countdown läuft, und für Louisa gibt es kein Entrinnen ...
Das Buch ist passend für diese Jahreszeit. Es Spielt im Oktober und an einem abgelegenen Ort,viel bei trüben Wetter und in oft am Waldesrand. Also Passend zu unserer Aktuellen Jahreszeit zur Zeit Ende November.
Geschrieben ist das Buch aus der Sicht von Luisa aus der Ich Perspektive.
Luisa ist 30 Jahre und sie hat ein Geheimnis was schon 15 Jahre her ist was sie aber nicht los lässt.
Nun bekommt Louisa ständig Emails mit einem Countdown noch 21 Tag mit der Story die den Tod von Louisas Beschreibt.
Von da an holt sie die Vergangenheit komplett ein und sie fühlt sich nicht mehr sicher, Sie fühlt sich verfolgt und beobachtet.
Von ihrer Freundin Josy der sie sich anvertraut bekommt sie nicht wirklich eine Unterstützung da sie nicht ernst genommen wird.
Louisa verliert nach und nach die Kontrolle und muss ständig irgendwelchen Horror durchmachen. Sie weiß das Ende ist bald da, die Tage vergehen in ständiger Angst.
Aber was ist das Geheimnis von Louisa und was soll der Countdown und was passiert wen der Countdown zu ende ist und noch wichtiger ist ja wer Steckt da hinter ?
All das werdet Ihr erfahren wen ihr in die Geschichte Eintaucht.
Leseprobe
Eins
Der Tod fand Louisa im fahlen Schein des aufgehenden Mondes. Obwohl es bereits stockdunkel draußen ist, geht mir dieser Satz in Endlosschleife durch den Kopf, und ich muss mich mit Gewalt dazu zwingen, mich auf die Straße zu konzentrieren. Immer wieder werden Regenböen gegen die Windschutzscheibe geweht, und die Welt verschwindet für einige Sekunden hinter einem nassen Schleier. Trotz höchster Intervallstufe kommen die Scheibenwischer nicht gegen die Wassermassen an. Es war eine dumme Idee, das letzte Design noch fertigzustellen, länger als alle anderen im Büro zu bleiben und meinen Yogakurssausen zu lassen. Jetzt muss ich durch Regen und Sturm zurückfahren. Ich bin nur wenige Kilometer von meinem Haus entfernt, doch es fühlt sich an, als könnte es nicht weiter weg sein. Wenn ich heute Morgen etwas früher aufgestanden wäre, hätte ich den Auftrag vor der Telefonkonferenz beenden können, ohne in Zeitnot zu geraten. Alternativ hätte ich abwarten können, bis sich die Wetterlage ein wenig gebessert hat, um mich dann auf den Heimweg zu machen. Verdammte Ungeduld.
Schon am helllichten Tag ist die kurvenreiche Strecke durch den Wald anstrengend zu fahren. In einer stürmischen Nacht ist sie grauenvoll. Zu allem Übel ist das angekündigte Gewitter trotz meiner Beschwörungen natürlich nicht in die andere Richtung gezogen. Im Gegenteil. Als würde es mir folgen, ist jeder Donner lauter als der vorige. Blitze zerreißen die Finsternis, tauchen die Umgebung in grelles Licht. Die Schwärze wirkt anschließend nur noch tiefer. Die Baumstämme sind feucht vom Regen und reflektieren das aufzuckende Licht. Die dahinterliegende Dunkelheit scheint voller sich windender Schatten zu sein. Ich kann nicht sagen, wie oft ich schon erschrocken bin, weil ich mir eingebildet habe, eine menschliche Silhouette allein am Straßenrand zu sehen. Meine Augen sind überreizt von dem schnellen Wechsel zwischen Hell und Dunkel. Wieder wandern meine Gedanken zu der Mail, die ich vor zwei Tagen erhalten habe. Noch einundzwanzig Tage Der Tod fand Louisa im fahlen Schein des aufgehenden Mondes. Sie stand in ihrer Küche, machte Abendessen. Eine willkommene Ablenkung. Eine Ablenkung von der Angst, die in den vergangenen Stunden ihr ständiger Begleiter gewesen ist. Am Nachmittag hatte sie eine Nachricht erhalten, die ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. Aus der nahe gelegenen Nervenheilanstalt war ein Patient entkommen. Ein Soziopath, der es liebte, mit seiner Beute Katz und Maus zu spielen.
Ein kaltblütiger Mörder, der seine bisherigen Opfer mit einer Spiegelscherbe markiert hatte, um sie dann in seinen tödlichen Plan zu verwickeln. Die Polizei hatte die Warnung ausgegeben, Fenster und Türen geschlossen zu halten, und Louisa brauchte keine zweite Einladung, um der Aufforderung zu folgen. Trotzdem wollte das kalte Gefühl in ihrem Innern nicht verschwinden. Sie konzentrierte sich auf das Messer in ihrer Hand, mit dem sie die Zutaten schnitt. Knoblauch. Schafskäse. Tomaten.
Bis …
Ein Knirschen ließ sie innehalten. Das Messer zitterte in ihrer Hand. Wer ist da? Ein Geräusch aus dem Flur, fast unhörbar. So flüchtig und hohl, dass es auch das Wispern des Windes sein könnte. Doch der Wind weht nicht durch das Haus.
Ist es … er? Nein. Lächerlich. Warum sollte er ausgerechnet sie wählen? Warum sollte er ausgerechnet in ihr Haus eindringen? Warum sollte er ausgerechnet ihrem Leben ein Ende setzen wollen? Warum nicht? Kein Grund zur Sorge. Wieder das Geräusch. Deutlich näher. Allen Grund zur Sorge.
Louisa. Sie umfasst den Griff ihres Messers fester. Öffnet die Tür. Lauscht in die Stille. Er kommt. Ein fremder Geruch in der Luft. Nicht alleine. Zögerliche Schritte. Banges Warten. Vor ihr etwas am Boden. Glänzend und boshaft. Gezackt. Scharfkantig. Die Scherbe. Die Spiegelscherbe. Zu spät. Sie ist sich ihrer eigenen Zerbrechlichkeit nicht bewusst. Jetzt wird sie ihr vor Augen gehalten. Ihr Spiegelbild. Zersplittert wie die Scherbe. Er ist da. Diese Worte … Diese seltsame Mischung aus Sätzen und direkten Sinneseindrücken ist mir nicht unbekannt. Sie ist mir schon einmal begegnet. Vor ungefähr fünfzehn Jahren. Und damals ist die Sache alles andere als gut ausgegangen. Nein. Nicht darüber nachdenken. Nicht jetzt. Ich hatte mich die letzten drei Tage einigermaßen im Griff, also werde ich es auch heute Abend schaffen. Für einen Moment ziehe ich in Erwägung, an den Straßenrand zu fahren, um dort zumindest den Höhepunkt des Unwetters abzuwarten, doch alles in mir sträubt sich, auch nur eine Minute länger in der Dunkelheit unterwegs zu sein als nötig. Ich kenne die Strecke auswendig. Zwei enge Linkskurven, anschließend knapp drei Kilometer geradeaus.
Wieder eine Kurve, dann mein Haus. Eine Viertelstunde. Maximal. Ich drehe das Radio noch lauter, damit die Musik den grollenden Donner und den prasselnden Regen übertönt. Kein Grund zur Sorge. Allen Grund zur Sorge. Es ist bloß ein Gewitter, und laut Faraday ist das Auto währenddessen ein sicherer Ort. Trotzdem wäre ich lieber zu Hause. In meinem weichen Bett mit den kuscheligen Kissen, eine Tasse Salbeitee in der Hand, den ich mir fast jeden Abend zum Einschlafen koche. Eine Bewegung am Straßenrand holt mich jäh aus meinen Gedanken. Zu abgehackt und ruckartig, um von einem sturmgepeitschten Baum oder Busch zu stammen. Ein Tier? Instinktiv reiße ich das Steuer zur Seite und trete auf die Bremse. Mein Fiat schlingert, gerät ins Schleudern. Für einige grauenhafte Augenblicke verlieren die Reifen die Bodenhaftung und rutschen über den regenglatten Asphalt. Ich stoße einen erstickten Schrei aus und umklammere das Lenkrad mit beiden Händen. Nur Sekunden später greifen die Reifen wieder, und das Auto kommt mitten auf der Fahrbahn zum Stehen. Ich drehe den Schlüssel, und Motor und Musik ersterben abrupt. Obwohl die Tropfen nach wie vor auf das Dach trommeln, ist die Stille übermächtig. Als hielte die Zeit den Atem an. Fast bin ich dankbar für den nächsten Donnerschlag, der mich aus dem seltsamen Schwebezustand reißt.
Ich atme einmal tief durch und zwinge meinen rasenden Puls wieder auf ein normales Tempo. Es ist nichts passiert. Ich habe überreagiert, weil ich wegen der Gewitteratmosphäre angespannt bin. Ich habe mich lediglich erschreckt, weil … Ja, weshalb eigentlich? Ein unangenehmes Kribbeln läuft mir über den Rücken. In einer solchen Nacht kann einem die Fantasie Streiche spielen. Und trotzdem bin ich sicher, etwas am Straßenrand gesehen zu haben, was dort nicht hingehört. Nicht in einen dichten Wald, mehrere Kilometer von der nächsten Ortschaft entfernt. Eher schon in ein Horrorkabinett oder eine Geisterbahn. Eine dunkel gekleidete Gestalt. Eine Gestalt mit einer schwarzen Skimaske, die das Licht der Scheinwerfer aufzusaugen schien. Ist es … er? Nein. Lächerlich. Ich streiche mir eine Haarsträhne aus der Stirn, beiße mir auf die Unterlippe und starte den Motor. Die plötzlich wieder einsetzende dröhnende Musik lässt mich zusammenzucken, und ich verfluche meine eigene Schreckhaftigkeit. Ich drehe mich halb um und setze einen knappen Meter zurück, um das Auto wieder gerade auf die Straße zu bringen.
Zusammenreißen.
Kurze Zeit später bin ich erneut auf Kurs, allerdings nach wie vor über die Maßen angespannt. Immerhin hat sich mein Herzschlag beruhigt. Leider nur so lange, bis ich in der Dunkelheit vor mir etwas auf der Straße liegen sehe. Verdammt. Das darf doch nicht wahr sein. Die eingebildete Gestalt hat mir schon gereicht. Was ist nun los? Vor ihr etwas am Boden. Abermals verringere ich mein Tempo und bin dankbar dafür, dass dieses Mal keine Vollbremsung nötig ist, weil ich ohnehin nur in mäßiger Geschwindigkeit unterwegs war. Etwa zwei Meter vor dem Hindernis halte ich an und schalte das Radio aus. Die Scheinwerfer meines Wagens zerschneiden scharf die Dunkelheit, die abseits des Lichtkegels jetzt dicht und bedrohlich wirkt. Die Blitze und die darauffolgenden Donnerschläge sind seltener geworden. Ich strecke mich ein wenig und spähe mit zusammengekniffenen Augen nach draußen in die Dunkelheit. Als ich erkenne, was meine Weiterfahrt verhindert, bin ich erleichtert und frustriert zugleich. Ein großer Ast liegt auf der Straße. Kein Wunder bei dem Sturm. Nicht wirklich gefährlich, aber nach dem ersten Schreck würde jetzt wohl schon ein Kaninchen ausreichen, um mich in Panik zu versetzen. Ich lasse das Auto ein Stückchen nach vorne rollen, sodass die Scheinwerfer den Ast vollständig erfassen. Er glänzt vor Nässe und ist an seiner breitesten Stelle bestimmt armdick.
Und natürlich liegt er so auf der Straße, dass nicht einmal mein kleiner Fiat daran vorbeipasst. Ich habe heute echt kein Glück. Was nun? Das Klügste wäre, umzudrehen und zu Josy zu fahren. Ungeachtet der Uhrzeit würde sie mir einen Kaffee kochen und mich in eine dicke Decke gewickelt vor den Kamin setzen. Andererseits ist es nicht mehr weit nach Hause. Selbst im Schneckentempo dürfte ich nur wenige Minuten brauchen – sofern ich diesen Ast irgendwie beiseiteschaffen kann. Ich durchwühle meine Handtasche nach meinem Handy und atme auf, als ich sehe, dass ich trotz des Unwetters und des Walds um mich herum guten Empfang habe. Spontan rufe ich Josy über die Kurzwahltaste an. »Hey, Süße«, meldet sie sich nach dem zweiten Klingeln. »Bist du zu Hause? Ich habe es vorhin schon mal bei dir versucht.« »Noch nicht ganz«, erwidere ich. »Ein dämlicher Ast blockiert die Straße.« »Du bist noch unterwegs?«, fragt Josy. »Ich habe länger gearbeitet«, erkläre ich kleinlaut. »Himmel, Lou.« Josys Stimme klingt gereizt. »Es gab eine Unwetterwarnung, hast du nichts davon mitbekommen?« »Ich dachte, so schlimm würde es schon nicht werden«, verteidige ich mich. »Und es wäre auch kein Problem, wenn nicht der Ast auf der Fahrbahn läge.
»Ausgerechnet heute musstest du Überstunden machen«, murmelt sie. »Während sich alle anderen beeilen, um rechtzeitig zu Hause zu sein, bevor es richtig losgeht. Und jetzt?« »Werde ich versuchen, das Mistding an den Straßenrand zu ziehen. Sieht nicht allzu schwer aus«, entgegne ich, ernte von Josy aber bloß ein skeptisches Brummen. »Fahr besser zurück in die Stadt«, sagt sie. »Du kannst bei uns übernachten. Ich koche dir einen Kaffee und lege ein paar Holzscheite in den Kamin.« Unwillkürlich muss ich lächeln, beschließe aber, lieber aktiv zu werden. In der Zeit, die ich schon mit Josy telefoniere, hätte ich den Ast dreimal aus dem Weg räumen können. Kurz bilde ich mir wieder ein, eine Gestalt im Schatten der Bäume zu sehen. Aber niemand wusste, dass ich ausgerechnet heute Überstunden machen würde. Es ist denkbar unwahrscheinlich, dass mir hier im Wald jemand auflauert. Warum sollte er ausgerechnet sie wählen? »Ich steige jetzt aus«, verkünde ich, schnalle mich ab und öffne die Autotür. Sofort weht mir eine Sturmbö Regen ins Gesicht, sodass ich mir meine Kapuze über den Kopf ziehe, um das Handy vor der Feuchtigkeit zu schützen. Es im Auto zu lassen kommt nicht infrage. Josys Stimme beruhigt mich. Langsam gehe ich im Licht der Scheinwerfer auf das Hindernis zu. Meine Gestalt wirft einen langen Schatten auf den glänzenden Asphalt. »Du bist echt mutig«, sagt Josy mit einer Ruhe, die im krassen Kontrast zu den tobenden Naturgewalten um mich herum steht.
»Bin gleich da«, sage ich, ohne auf das Kompliment oder die Kritik – ganz sicher bin ich mir nicht, was es war – einzugehen. Ich schaue mich einmal um. Vollkommen sinnlos, da ich ohnehin nur Dunkelheit sehen kann. Dann trete ich testweise gegen den Ast. Da er sich überraschend leicht bewegen lässt, klemme ich mir das Handy zwischen Schulter und Ohr und zerre ihn unter vollem Körpereinsatz zur Seite. Kurze Zeit später ist die Straße wieder frei. Ich richte mich auf und blinzle in das grelle Licht der Scheinwerfer. »Alles okay?«, will Josy wissen. »Ja«, erwidere ich knapp, während ich zum Auto zurückgehe. »Ich denke, du kannst auflegen.« »Schick mir eine Nachricht, wenn du daheim bist«, sagt Josy, was ich natürlich verspreche. Wir verabschieden uns, und ich öffne die Fahrertür. Als ich wieder im warmen und trockenen Auto sitze, lasse ich mich in das weiche Polster sinken und blicke auf die nun freie Straße. Obwohl ich mich nur kurz von meinem Wagen entfernt habe, steigt ein komisches Gefühl in mir auf. Hektisch schalte ich die Innenbeleuchtung an und prüfe die Rückbank. Sie ist leer. Natürlich. Dann wird mir klar, wie gut ich von außen sichtbar bin, und ich mache das Licht wieder aus. Diese ganze Situation macht mich regelrecht paranoid, ich bin froh, wenn ich endlich zu Hause bin. Obgleich es keine Anhaltspunkte dafür gibt, werde ich den Eindruck nicht los, dass ich in dieser Gewitternacht nicht alleine bin.
Ich schnalle mich an, drehe den Zündschlüssel und aktiviere die Innenverriegelung. Das gleichmäßige Brummen des Motors beruhigt meine überreizten Nerven. Noch wenige Kilometer und ich bin zu Hause. Der Regen hat mittlerweile nachgelassen, sodass ich die Geschwindigkeit der Scheibenwischer herunter regeln kann. Flüchtig bilde ich mir ein, einen unbekannten Geruch im Auto wahrzunehmen. Würzig und irgendwie herb, mit einem Hauch von Tabak. Sicher nur der durch den Regen verstärkte, typische Waldduft. Kein Grund zur Beunruhigung. Ein fremder Geruch in der Luft. Nicht alleine. Und doch verspüre ich den geradezu zwanghaften Wunsch, mich zu vergewissern, dass alles in Ordnung ist, dass ich nach wie vor alleine im Wagen bin. Ohne den Blick von der Straße zu nehmen, fasse ich nach hinten und berühre mit den Fingerspitzen etwas Weiches. Haare. Mein Herz bleibt für einen Moment stehen, und ich rechne fest damit, dass sich gleich kalte Finger um mein Handgelenk schließen. Bis ich mich an den flauschigen Badvorleger erinnere, den ich gestern Nachmittag gekauft habe und der zusammengerollt hinter meinem Sitz liegt. Erschöpft stoße ich die angehaltene Luft aus. Wenn ich nicht bald daheim bin, erleide ich noch einen Nervenzusammenbruch. Mit einem Seufzen schalte ich die Musik an, dieses Mal deutlich leiser als zuvor, aber laut genug, um mitsingen zu können.
Ich sollte dringend aufhören, mich selbst so verrückt zu machen. Drei Songs später lichtet sich endlich der Wald. Mir wird fast schwindlig vor Erleichterung, erst jetzt realisiere ich, wie angespannt ich war. Beim nächsten nächtlichen Gewitter werde ich mich bei Josy und ihrem Mann einquartieren oder notfalls im Büro übernachten. Beides dürfte weniger nervenaufreibend sein als der überstandene Horrortrip. Aufatmend biege ich in meine Einfahrt ein. Heute wäre es wirklich schön, nicht alleine zu wohnen und einen Mann oder zumindest Freund zu haben, mit dem ich über meine Schreckhaftigkeit lachen könnte. Mit einem Anflug von Niedergeschlagenheit parke ich meinen Fiat in der Garage und öffne die hintere Tür, um den Badvorleger herauszuholen, der vorhin für einen Schockmoment gesorgt hat. Als ich mich wieder aufrichte, bemerke ich einen Lichtreflex im Augenwinkel. Glänzend und boshaft. Gezackt. Scharfkantig. Ich stelle die Tüte zur Seite und beuge mich nach vorne. Eisige Kälte breitet sich in mir aus, die nichts mit dem kühlen Herbstwetter zu tun hat. Auf der Rückbank hinter dem Fahrersitz liegt eine Spiegelscherbe. Klein genug, um sie bei einem schnellen Blick im schummrigen Licht der Innenbeleuchtung zu übersehen, aber definitiv nicht so winzig, dass sie mir gestern beim Verstauen der Tüte nicht aufgefallen wäre. Ich bin mir ganz sicher, dass sie noch nicht im Auto lag, als ich vorhin vom Büro losgefahren bin.
Als ich realisiere, was das zu bedeuten hat, wird mir übel. Jemand war in meinem Wagen. Ich kämpfe gegen die Panik an, schließe die Augen und konzentriere mich auf meine Atemzüge. Die schwarze Gestalt am Waldrand. Der Ast auf der Straße. Hat tatsächlich jemand die Gelegenheit genutzt, um mir einen Streich zu spielen? Ich weiche einige Schritte zurück und greife nach der Handschaufel aus Metall, die ich mit anderen Gartenwerkzeugen in der Garage aufbewahre. Sofort fühle ich mich besser. Jederzeit bereit zuzuschlagen, prüfe ich sorgfältig den Innenraum des Autos. Doch ich finde nichts – bis auf die Spiegelscherbe, die im trüben Licht der Garagenlampe funkelt, als wollte sie mich verhöhnen. Kurz entschlossen nehme ich einen alten Lappen vom Regal, wickle das scharfe Glasstück darin ein und stecke es in meine Handtasche. Die Tüte mit meinem Einkauf in der einen, die erhobene Schaufel in der anderen Hand verlasse ich schließlich die Garage. Die wenigen Meter durch den Vorgarten ziehen sich ewig hin. Jede Sekunde erwarte ich, dass sich ein Angreifer auf mich stürzt. Nichts passiert. Im Haus schließe ich zweimal die Tür von innen ab und gestatte mir einen Moment der Erleichterung. Ich bin daheim. In Sicherheit. Nachdem ich einen Kontrollgang durch alle Zimmer inklusive der drei Kellerräume gemacht und sowohl im Erd- als auch im Obergeschoss sämtliche Lichter angeschaltet habe, fühle ich mich zumindest nicht mehr unmittelbar bedroht.
Ob ich die Scherbe vorhin beim Losfahren doch übersehen habe? Aber wie ist sie auf dem Sitz gelandet? Wer hat sie dort hingelegt? Bei der Erinnerung daran, dass ich früher mit Freunden ähnlichen Blödsinn gemacht habe, regt sich mein schlechtes Gewissen. Ich schicke die versprochene kurze Nachricht an Josy, versorge meinen Kater Mozart mit Futter und stelle mich anschließend unter die Dusche. Obwohl ich mindestens eine Viertelstunde lang heißes Wasser auf mich niederprasseln lasse, kann es die unterschwellige Kälte nicht vertreiben, und auch später im Bett ist das Unbehagen nicht verschwunden. Es hat sich in mir eingenistet wie ein ungebetener Besucher, der mich von einer Zimmerecke aus beobachtet und einfach nicht verschwinden will. Auf den ersten Blick nicht zu sehen, aber dennoch da. Ich lege die Gartenschaufel neben mein Kopfkissen, um mich der Illusion von Schutz hinzugeben, und versuche, an etwas Schönes zu denken. Leider erfolglos, die Beklommenheit hat mich weiterhin in ihren Klauen. Sie ist sich ihrer eigenen Zerbrechlichkeit nicht bewusst. Jetzt wird sie ihr vor Augen gehalten. Ich wurde ausgewählt.